Sasel - Wo Bürgersinn greifbare Resultate schafft

Wochenmarkt auf dem Saseler Markt
Andreas Laible

 

Die wohl schönste Form bürgerschaftlichen Engagements steht mitten im Ort und ist längst über den Stadtteil hinaus bekannt: das Sasel-Haus.

 

Fläche in Quadratkilometer: 8,4
Einwohner: 23.490
Wohngebäude: 7392
Wohnungen: 10.789
Immobilienpreise Grundstücke in Euro/Quadratmeter: 503
Immobilienpreise Eigentumswohnungen in Euro/Quadratmeter: 2877
(Quelle: Statitisches Amt für Hamburg und Schleswig-Holstein, Stand 2016)

 

Das Ausmaß des gesellschaftlichen Wandels passt manchmal in eine kleine Anekdote. Martin Willich, langjähriger Geschäftsführer von Studio Hamburg und einflussreicher CDU-Politiker, erzählt diese Geschichte: Nachdem er Ende der 70er-Jahre mit seiner Familie nach Sasel gezogen war, wurde er von alteingesessenen Volksdorfern in deren Haus eingeladen. Als der Gastgeber fragte, wo Willich denn wohne, antwortete der mit einem gewissen Stolz: "In Sasel." Die Replik mit etwas mitleidigem Unterton: "Ach ja, in Sasel wohnten früher unsere Gärtner."

Für die reichen Bewohner der Walddörfer, wie eben Volksdorf, waren die Saseler lange Zeit die armen Nachbarn. Tatsächlich nimmt der Stadtteil im Herzen des Hamburger Nordostens eine Sonderstellung ein. Während in den feinen Walddörfern schon vor Jahrzehnten Villen auf weitläufigen Grundstücken standen, waren es in Sasel kleine Siedlungshäuser, deren Bewohner nicht selten auf ihrer Parzelle Kleinvieh hielten sowie Gemüse und Kartoffeln zur Selbstversorgung zogen.

Im Westen bildet der Alsterlauf die Grenze

Wer Sasel heute erkundet, erlebt einen grünen Stadtteil, wie geschaffen für natursüchtige Stadtflüchtlinge: Hier sind die Vorzüge des urbanen Lebens mit einer milden Form ländlicher Beschaulichkeit gut zu kombinieren. Der Stadtteil zählt heute zu den bevorzugten Wohngegenden mit den entsprechenden Grundstückspreisen.

Im Westen bildet der Alsterlauf die Grenze. Wer auf dem Alsterwanderweg mit dem Rad im Sommer nach Norden fährt, verlässt die Stadt unter einem grünen Blätterdach und erreicht so die holsteinischen Wiesen. Im Norden schließt die Saselbek den Stadtteil ab, mit einem der kleinsten Naturschutzgebiete Hamburgs, dem Hainesch-Iland, schon auf Bergstedter Gebiet. Im Westen grenzen die Volksdorfer Teichwiesen an Sasel.

Ganz in der Nähe, an der Straße Bekwisch, liegt ein Tümpel. Wer zur richtigen (Jahres-)Zeit kommt, den empfängt ein Konzert aus Froschmäulern. Mit Glück zeigt sich im Wäldchen nebenan ein Reh. Zur Zeit der Krötenwanderung wird der Bekwisch für Autos gesperrt. Auch das ist Sasel - fast eine städtische Idylle. Aber nun nicht alle auf einmal hinfahren.

Die einstige Abgeschiedenheit des Bauerndorfes Sasel hat seine Entwicklung begünstigt. Nach Poppenbüttel fährt die S-Bahn, über Volksdorf nach Großhansdorf und Ohlstedt die U-Bahn. Bis weit ins 20. Jahrhundert war Sasel verkehrsmäßig kaum erschlossen.

Aber hier war Bauland günstig. Hamburger gründeten in den 20er- und 30er-Jahren Siedlungsgenossenschaften, das preiswert aufgekaufte Land wurde parzelliert. Sasel wurde zur "Siedlungshochburg". Ziel war es, "menschenwürdige Wohnstätten zu schaffen, hierdurch dem Elend und Laster der Großstadt einen Riegel vorschiebend", wie es in einer Zeitschrift über die Perlberg-Siedlungsgenossenschaft für das Areal rund um den Füerbarg heißt. Die Backsteingebäude am Saseler Markt - "Rathaus", Post und Ladengeschäfte - stammen alle noch aus den 20er-Jahren.

Toskana macht sich wuchtig breit

Die erste umfassende Besiedlung mit ihrem Pioniercharakter und Zusammengehörigkeitsgefühl prägt den Stadtteil bis heute: Hier wird alljährlich das einzige Heimatfest in Hamburg (vermutlich auch Norddeutschlands) gefeiert; der Männergesangverein Salia und der TSV Sasel sind fest im Stadtteil verankert. Der Anteil von Ein- und Zweifamilienhäusern mit mehr als 70 Prozent ist ein Hamburger Spitzenwert.

Wenn ein altes Siedlungshaus aufgegeben wird - und das ist seit einigen Jahren häufig der Fall -, dann rücken die Abrissbagger an. Auf einem Siedlungsgrundstück entstehen zwei, manchmal vier Doppelhaushälften. Das Gesicht des Stadtteils verändert sich. Die Toskana macht sich wuchtig breit: mit Säulen an Türeingängen und breiten Dachüberständen.

Bürgerliches Engagement

Die wohl schönste Form bürgerschaftlichen Engagements steht mitten im Ort und hat längst ein Renommee weit über den Stadtteil hinaus: das Sasel-Haus, Kommunikations- und Veranstaltungszentrum, Kita, Konzerthaus und Volkshochschule in einem. Am Anfang waren Mitte der 80er-Jahre ein paar engagierte Saseler, die die alte Schule vor dem Abriss retten wollten. Damit wäre ein Stück historisches Sasel verloren gewesen: Die Schule war im alten Kuhstall des früheren Gutes Saselhof untergebracht. Der Plan gelang: Heute ist das Sasel-Haus ein professionell geführtes Unternehmen.

Die Reihe der Sonntagskonzerte  ist ein Markenzeichen. Kurz vor seiner Wahl zum Bundespräsidenten war Joachim Gauck zu Gast, um aus seiner Autobiografie zu lesen. Als die Bücherhalle geschlossen wurde, startete das Sasel-Haus den Kinder-Leseclub, dessen Buchbestand aus dem gespendeten Pfandgeld des örtlichen Supermarktes finanziert wird – nur ein Beispiel für Saseler Bürgerengagement und Pragmatismus.


Sasel historisch

Verblüffend: Der einwohnerstärkste Stadtteil der Walddörfer entwickelte sich verglichen mit seinen Nachbarn besonders langsam. 1783 hatte Sasel rund 200 Einwohner, hundert Jahre später waren es erst 442, und Ende des 19. Jahrhunderts lebten dort 500 Menschen. Nach Angaben eines Chronisten war Sasel um 1900 noch „ein kleines Dorf mit hundert Häusern und drei gepflasterten Straßen – alles ohne Siel und Wasserleitung“. Einziger namhafter Betrieb: eine Ziegelei an der Saseler Chaussee, die ungefähr von 1864 bis zum Ersten Weltkrieg in Betrieb war. Seit 1883 hatte das Dorf immerhin schon eine freiwillige Feuerwehr.

Bebauung – auch ohne Spekulanten

Sasels Erschließung hängt – ähnlich wie das bei Wellingsbüttel und Poppenbüttel der Fall war – mit den Aktivitäten der 1910 gegründeten Alsterthal-Terrain- Actien-Gesellschaft (ATAG) zusammen. Initiator Johann Vincent Wentzel (siehe Poppenbüttel) hatte für Sasel den Gutsbesitzer (seit 1897) Conrad Reuter mit ins Boot geholt. Doch dann entwickelte sich dort alles etwas anders als bei den noblen Nachbarorten: Es gelang Julius Gilcher, Gründer des Eigenheim- Siedlungs-Sparvereins, der jegliche Bodenspekulation ablehnte, die Gegend über den Siedlungsverein Sasel zu erschließen.

Gilcher kaufte Reuter dessen Saselhof ab, ließ das Land aufteilen und verkaufte es dann für Siedlungsbebauung an wenig betuchte Mitbürger, die sich vor Ort als Selbstversorger betätigten. Laut Chronik waren kurz nach 1919 beim ehemaligen Saselhof bereits 574 Parzellen abgeteilt, alle zwischen 1800 und 3000 Quadratmetern groß. Im Jahr 1920 war die Einwohnerzahl auf 700 gestiegen, aber Sasel lag im Bewusstsein der Hamburger weit außerhalb und hatte immer noch sehr ländliche Züge.

Noch in den 1920er-Jahren zog der Nachtwächter mit seinem „Feuerhorn“ durch den Ort, morgens weckte er die Gutsarbeiter. Und an der Ecke Stadtbahnstraße/ Saseler Chaussee stand schonseit 1828 die Dorfschmiede, die erst 1950 schloss, bevor das Haus 1959 abgerissen wurde. In den krisenhaften 1920er-Jahren wurde vor Ort auch „wild“ gebaut, und am Ortsrand entstand ein regelrechtes Kistendorf, wie es zum Beispiel auch für Lurup dokumentiert ist.

Auf den weitläufigen Ländereien des Pfeilshofs und des Hofs Alte Mühle entstanden Schrebergärten und einfache Häuschen, die heute fast ausnahmslos von Einzelhäusern ersetzt sind. 1925 lag die Einwohnerzahl immerhin schon bei 1883. Sasel galt zu dieser Zeit als der politisch gesehen am weitesten links stehende Ort des Alstertals, und die Nazis fanden hier zunächst kaum Unterstützung.

Hein ten Hoff als Gastwirt

Als Sasel 1937/38 nach Hamburg eingemeindet wurde, hatte es bereits rund 5800 Einwohner. 1944 richteten die Nazis am Feldblumenweg eine Außenstelle des Konzentrationslagers Neuengamme ein. Die inhaftierten Frauen mussten Räumarbeiten leisten und eine Plattenhaussiedlung in Poppenbüttel errichten.

Eine etwas skurrile Geschichte hatte der Gasthof Saselbeck an der Grenze zu Bergstedt. Die ehemalige „Krug Kathe“ von 1737 war Ende des 19. Jahrhunderts pleitegegangen und musste 1902 (nach anderen Quellen 1893) kurzfristig zur Schule umgestaltet werden, weil das Schulhaus am Dorfteich abgebrannt war. 1907 stand der alte Gasthof dann selbst in Flammen.

Das Lokal wurde später wiedereröffnet und nach dem Zweiten Weltkrieg zeitweise von dem namhaften Boxer Hein ten Hoff übernommen. Nach 1945 hatten sich etliche ausgebombte Hamburger ins unzerstörte Sasel geflüchtet. Viele blieben dort, sodass die Einwohnerzahl im Jahr 1950 auf 14.000 angestiegen war. Erst von 1948 an hatte Sasel seine eigene Kirchengemeinde, und erst 1962 entstanden die Vicelinkirche und drei Jahre später die Lukaskirche.

von Redaktion hamburgerimmobilien.de am 19.09.2018

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