Winterhude - Zwischen "Little Fifth Avenue" und "Schitti Nord"

Mühlenkamp
Andreas Laible/ HA

 

Kennzeichnend für den gesamten Stadtteil sind die kleinen Hinterhöfe der Wohnquartiere, in denen sich der private Teil des Lebens abspielt.

 

Fläche in Quadratkilometer: 7,6
Einwohner: 54.826
Wohngebäude: 3631
Wohnungen: 32.664
Immobilienpreise Grundstücke in Euro/Quadratmeter: 2639
Ein- und Zweifamilienhäuser: 7408
Eigentumswohnungen: 5020
(Quelle: Statistisches Amt für Hamburg und Schleswig-Holstein, Stand 2016)

 


Wer vorgibt, dass er Winterhude liebt, sagt nicht die ganze Wahrheit. Denn meist ist nicht der Stadtteil insgesamt gemeint, sondern eine von drei Regionen, aus denen er sich zusammensetzt. Da ist zum einen im Süden der Mühlenkamp, von Kennern achtungsvoll auch "Little Fifth Avenue" genannt, mit den umliegenden Straßenzügen, die sich hervorragend eignen, den Nachwuchs im Marken-Kinderwagen auszuführen.


Westlich gelegen gibt es den gutbürgerlichen Bereich mit Wohnhäusern rund um den Winterhuder Marktplatz. Und schließlich im Norden die City Nord mit ihren gewaltigen Bürokomplexen. Drei mal Winterhude: "Schickihude", "Schluderhude" und die "Schitti Nord".


Kennzeichnend für den gesamten Stadtteil sind die unzähligen, kleinen Hinterhöfe der Wohnquartiere, in denen sich der private Teil des Lebens der Winterhuder abspielt. Auf der Straße grüßt man sich, hält einen Klönschnack beim Schlachter und tauscht sich auf dem Wochenmarkt gern mit dem Bauern seines Vertrauens über die Ernte und alle anderen wichtigen Lebensfragen aus. Und dann ist da auch noch die Nähe zum Wasser, die den besonderen Charme Winterhudes ausmacht - mit rund acht Kilometern an Kanälen.


Kaffee-Kultur und Geschäfte mit Tradition


Café latte, Latte macchiato, Café crème - an jeder Ecke gibt es Kaffeespezialitäten, die ganze Mahlzeiten ersetzen können. Vor allem stehen sie für das Lebensgefühl all jener jungen Menschen, die (noch) keine Familie haben, lieber im Gehen als zu Hause frühstücken und sich nach Feierabend und an Wochenenden gern mit Freunden treffen. Etwa im Café Leinpfad, direkt am Wasser gelegen an der gleichnamigen Straße neben der Winterhuder Brücke. Oder im Landhaus Walter in Hamburgs grüner Lunge, dem Stadtpark.


Wer gerne gut isst und kocht, der ist in der Schlachterei Striga an der Alsterdorfer Straße richtig. Bei Sascha Striga gibt es nicht nur Fleisch- und Wurstwaren, sondern auch gleich das passende Rezept dazu. Wer's deutsch und deftig mag, dem gefällt der tägliche Mittagstisch mit Kotelett, Hähnchen und Frikadellen. Für frische Fischspezialitäten sollte man den Mühlenkamp besuchen: Fisch Böttcher ist auch solch ein Traditionsgeschäft, das seit 1913 neben Qualität auf individuelle Kundenbetreuung setzt.


In den Straßennamen ist Prominenz verewigt


Etliche Straßennamen dokumentieren, wer die Entwicklung des Stadtteils geprägt hat. Beispiel Sierichstraße. Den meisten ist sie eher bekannt als Europas einziger Fahrweg mit täglichem Richtungswechsel: von vier Uhr nachts bis zwölf Uhr mittags stadteinwärts, dann stadtauswärts. Namensgeber ist der Winterhuder Immobilien-Tycoon und Goldschmied Johann Friedrich Bernhard Sierich, der schon 1838 einen der alten Höfe gekauft hatte und fast das ganze Gelände vom alten Zentrum Winterhudes bis an die Außenalster erwarb und seinen sumpfigen Besitz durch Entwässerungskanäle für Wohnungsbau nutzbar machte.


Auch Julius Gertig (1831-1898), nach dem die Gertigstraße benannt wurde, hat einiges bewegt: Am Mühlenkamp 34 ließ er, der schon an den Großen Bleichen eine Badeanstalt und am Großen Burstah ein Lotteriegeschäft führte, eine Gaststätte zu einem riesigen Ausflugslokal ausbauen. Die Hudtwalckerstraße trägt ihren Namen im Andenken an die im 18. und 19. Jahrhundert einflussreiche Familie Hudtwalcker, die mehrere Senatoren und Ratsherren stellte.


An der Grenze nach Barmbek liegt die Jarrestadt mit ihren hochgeschossigen roten Klinkerbauten und der Kulturfabrik Kampnagel. Die ist heute weit über die Grenzen der Stadt hinaus für zeitgenössisches Tanztheater bekannt. Namensgeber dieses Quartiers ist der Hamburger Senator und Bürgermeister Nicolaus Jarre (1603-1678).


Der Stadtpark, die grüne Lunge


Von zentraler Bedeutung ist der Stadtpark: ideal zum Joggen, Picknicken, Baden oder Grillen, aber auch für Freilichtkonzerte und Sternengucker. Zu verdanken haben die Hamburger diese Oase Kunsthallen-Direktor Alfred Lichtwark. Der stellte 1897 die Frage, ob die Stadt aufgrund des rasanten Baus von Werften, Wohnsiedlungen und Fabriken überhaupt bewohnbar bleiben könne, "wenn nicht ein großer Stadtpark geschaffen wird".


1903 kaufte der Senat zunächst das heute westlich der Hindenburgstraße liegende 37 Hektar große Sierische Gehölz. Acht Jahre später entwickelten Baudirektor Fritz Schumacher und Oberbauingenieur Fritz Sperber einen Plan für den "neuen Volkspark", später kam die Jahnkampfbahn hinzu. 1943 erlitt der Stadtpark schwere Schäden. Von den Bomben verschont blieb der 38 Meter hohe Wasserturm, das heutige Planetarium.


Zwei schmückende Bauwerke sind zum einen Hamburgs älteste höhere Lehranstalt, die Gelehrtenschule des Johanneum, die 1914 vom Domplatz an die Maria-Louisen-Straße zog. Gegründet hatte sie 1529 Reformator Johannes Bugenhagen. Zu den Absolventen gehören Autor Ralph Giordano, Physiker Heinrich Hertz und Lotto King Karl. Zum zweiten ist es das Winterhuder Fährhaus an der Hudtwalckerstraße/Ecke Winterhuder Kai. Seit 1988 werden hier Komödien aus dem Boulevardbereich gegeben. Was nicht immer so war, denn das Fährhaus errichtete 1865 der Kohlenhändler C. F.C. Jacobs als Ausflugslokal.


Ganz anders das Aussehen und die Atmosphäre in der City Nord, eine 1961 auf dem Reißbrett geplante Bürostadt mit Waschbeton-Charme. Gegründet wurde sie auf dem Gelände des ehemaligen Kleingartenreviers, um den wachsenden Platzbedarf in Hamburg ansässiger Firmen zu stillen. Entstanden sind architektonische Solitäre mit baulichen Leitbildern der 60er- und 70er-Jahre.


Seinen bürgerlichen Wohlstand zeigt der Stadtteil mit Villen am Rondeel, Leinpfad, an Bebelallee und Bellevue. Bei einer Bootstour auf der Alster kann jeder die rückwertigen Gärten an den inspizieren. Und spätestens dann wird klar: Winterhude ist liebenswert - aus jeder Perspektive.

 

Winterhude historisch

Lieb und inzwischen auch sehr teuer ist dieser Stadtteil den Hamburgern geworden. Kein Wunder: Winterhude hat zwischen Stadtpark und Alster eine tolle Lage und ein insgesamt harmonisches Erscheinungsbild. Zwar wurden hier im Krieg auch immerhin 40 Prozent der alten Bausubstanz zerstört, aber die noch reichlich vorhandenen Altbauten gleichen etliche Bausünden aus der Nachkriegszeit aus, und insgesamt scheint der Wiederaufbau hier etwas durchdachter gelaufen zu sein als in anderen Hamburger Ecken.


Ein „elender halsbrechender Steg“


„Die sämtliche Bevölkerung von Winterhude beträgt 238 Seelen“, schrieb der Topograf Jonas Ludwig von Hess 1802 über das Dörfchen, das ein „höchst elender halsbrechender Steg“ mit Eppendorf verband. Aber man muss in der Geschichte gar nicht so weit zurückgehen, um zu erkennen, dass Winterhude lange brauchte, um „in“ zu werden.


Schon immer hatte dieser Stadtteil sehr unterschiedliche Ecken. Neben den mondänen Villen in der Nähe des Feenteichs oder am Leinpfad gab es im „roten“ Winterhude östlich des Mühlenkamps auch früh Mietskasernen mit ganz einfachen Wohnungen, zum Beispiel zwischen Gertig- und Semperstraße. Schmale Wohnterrassen wie das sogenannte Lange Handtuch an der BarmbekerStraße waren Behausungen für Arbeiterfamilien, denen die teuren Gegenden buchstäblich verschlossen blieben. Dass es hier eines Tages kaum bezahlbare Eigentumswohnungen geben würde, schien noch vor wenigen Jahrzehnten unvorstellbar. Im Jahr 1907 gehörten mehr als 60 Prozent der erwerbstätigen Bevölkerung Winterhudes zur Arbeiterklasse – eine erstaunlich hohe Zahl.


Winterhude ist schon viel länger ein Teil Hamburgs als andere Gegenden. 1332 hatte das Johanniskloster den kleinen Ort an Hamburg abgetreten. Zu den Ersten, die hier neu durchstarteten, zählten die Bleicher, die das saubere Wasser und die gute Luft zu schätzen wussten – rund um die heutige Ulmenstraße finden sich noch ihre Spuren. Zwei Männer erkannten das Potenzial Winterhudes früher als andere: Johann Friedrich Bernhard Sierich und sein Sohn Adolph kauften ab den 1840er-Jahren sukzessive fast das gesamte Gebiet zwischen dem Alsterlauf und dem Winterhuder Marktplatz auf und ließen Kanäle und Straßen anlegen. Die neuen Grundstücke wurden weiterverkauft und bebaut – zumeist mit attraktiven Villen.


Bier – gebraut am Osterbekkanal


Rund 20 Jahre später rollte der Gastronom Julius Gertig (1831 – 1898) die Gegend ab Mühlenkamp auf. Zunächst hatte er dort ein Ausflugslokal errichtet, im Laufe der Zeit dann fast das ganze Gelände bis zur Barmbeker Straße aufgekauft und erschließen lassen. Gertig's Mühlenkamp warb mit Tanz und Kinderfesten, das beliebte Bier wurde am Osterbekkanal gebraut. Zum Gelände gehörte ab 1886 auch eine Pferderennbahn, die aber 1901 schon wieder geschlossen wurde.


Zur Goldgrube wurde Winterhude, nachdem die Torsperre 1861 aufgehoben war und die Menschen nach „außerhalb“ strömten. 1874 wurde es Vorort, 1894 Stadtteil von Hamburg. 1810 hatte die Einwohnerzahl noch bei 238 gelegen, 1880 waren es bereits 2989 und zehn Jahre später 7426. Schon in den 1890er- Jahren hatten Straßenbahnlinien die Pferdeomnibusse im Stadtteil abgelöst und von 1912 an hielt die Hochbahn auf der Ringlinie gleich dreimal in Winterhude: an den Stationen Sierichstraße, Borgweg und Stadtpark (heute: Saarlandstraße).


Um in der stark verdichteten Gegend eine große Grünfläche zu sichern, kaufte die Stadt 1903 das Sierichsche Gehölz, ehemaliges Jagdgebiet des Immobilienunternehmers. Daraus wurde der Stadtpark, dessen Eröffnung man am 1. Juli 1914 groß feierte. Ältere Hamburger erinnern sich noch an die Stadthalle am Stadtparksee und die gegenüberliegende Kaskade – beide wurden im Krieg zerstört. Ein weiterer beliebter Treffpunkt war das Winterhuder Fährhaus an der Ecke Winterhuder Kai/ Hudtwalcker Straße, das 1980 abgerissen wurde.


Eine andere Ecke von Winterhude – und wieder ein ganz anderer Eindruck: In den Jahren 1929/30 wurde die Jarrestadt bezogen, für die maßgeblich Oberbaudirektor Fritz Schumacher verantwortlich zeichnete. Die vier- bis sechsstöckigen Wohnhäuser aus dunklem Klinker zwischen Wiesendamm, Osterbekkanal, Goldbekkanal und Glindweg waren wegen ihrer für damalige Verhältnisse modernen Ausstattung und der zentralen Lage sehr beliebt.


Nebenan, zum Beispiel am Osterbekkanal, gab es Kleingewerbe unterschiedlichster Prägung, aber auch Industrieanlagen. 1875 hatte sich hier beispielsweise Nagel & Kaemp (Kampnagel) angesiedelt. Später kamen die Hammonia Stearin Fabrik und der Produzent von Desinfektionsmitteln (Lysol), Schülke & Mayr, hinzu. Der Gestank mancher Fabriken soll den ganzen Stadtteil eingehüllt haben – über alle sozialen Grenzen hinweg.

von Redaktion hamburgerimmobilien.de am 20.09.2018

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