Dulsberg - Grün, ungeschminkt und selbstbewusst

Dulsberg
HA

 

Das Erbe des Hamburger Baumeisters Fritz Schumacher lebt. Der Stadtteil, grün und ruhig, ist heute weit besser als sein lange lädierter Ruf.

 

Fläche in Quadratkilometer: 1,2
Einwohner: 17.326
Wohngebäude: 1074
Wohnungen: 10.742
Immobilienpreise Grundstücke in Euro/Quadratmeter: 736
Immobilienpreise Eigentumswohnungen in Euro/Quadratmeter: 2845
(Quelle: Statistisches Amt für Hamburg und Schleswig-Holstein, Stand 2016/2017)

 

"Mir war immer aufgefallen, dass im Unterschied zu anderen Gebieten, durch die ich mit dem Rad fuhr, Dulsberg ein sehr eindrucksvolles und eigenes Gesicht hat, geprägt durch die Schumacher-Bauten aus den 1920er-Jahren, die vielleicht zu kleine Wohnungen hatten, aber den öffentlichen Räumen einen bedeutungsvollen Rahmen geben. Das Stadtviertel ist einfach schön anzuschauen. Ich glaube, dass solche Architektur den Bewohnern eine bessere Möglichkeit schafft, stolz auf ihr Quartier zu sein."


Die Sätze des ehemaligen Hamburger Senators für Stadtentwicklung (1997-2001) Willfried Maier lesen sich wie eine Liebeserklärung an den Stadtteil Dulsberg und ihre historischen Häuserzeilen aus roten Backsteinbauten. Der Grünen-Politiker hatte sie für eine Denkschrift anlässlich der 200. Sitzung des Stadtteilrats Dulsberg im Jahre 2009 aufgeschrieben. Und seine Zeilen sind nach wie vor aktuell.


Sie treffen den Nerv des einstigen Arbeiterquartiers, das immer noch zu den einkommensschwächeren Hamburgs gehört, sie spiegeln die Gefühlslage der meisten Bewohner wider. Die Verweildauer in Dulsberg ist höher als in vielen Stadtteilen Hamburgs; die, die hierhergefunden haben, fühlen sich wohl, Deutsche wie Ausländer und jene mit diesem sogenannten Migrationshintergrund. 21 Prozent waren das im Jahr 2016. Und sie leben weitgehend friedlich zusammen, verrät die Kriminalstatistik.


Bürger gestalten ihr Viertel mit


Nach Angaben des Statteilrates, der in enger Zusammenarbeit mit dem Stadtteilbüro an der Probsteier Straße bürgernahe Politik im Interesse der Anwohner organisiert, gibt es in Dulsberg  keine Neubauflächen mehr. Der Stadtteilrat Dulsberg, 1992 gegründet, war einer der ersten in Hamburg, bis heute haben sich mehr als 100 Menschen als Mitglieder engagiert. Jeden ersten Dienstag im Monat trifft man sich, meist im Nachbarschaftstreff an der Elsässer Straße, und es ist beeindruckend, mit welcher Kontinuität sich die Anwohner mit ihrem Stadtteil befassen und sich für ihre Belange einsetzen.


In Dulsberg weiß man sich zu helfen, schnell und unbürokratisch. Ein Netzwerk vielfältiger sozialer Einrichtungen bildet ein tragfähiges Fundament für ein relativ unproblematisches Miteinander. Dass die Sparzwänge der Stadt diese Basis irgendwann aufweichen könnten, es mancherorts zum weiteren Stellenabbau kommen wird, zur Schließung von Jugendeinrichtungen, das Netzwerk zum Flickenteppich verkommt, fürchten derzeit viele.


Das befeuert Ängste wie eben die vor einer Gentrifizierung. Aufgewertet sei der Stadtteil bereits dank abgeschlossener Förderprogramme des Senats. Viele Häuser wurden in den vergangenen Jahren grundsaniert, die Mieten sind danach nur maßvoll gestiegen, viele allerdings auf mehr als acht Euro pro Quadratmeter. Die Größe der Wohnungen, im Dulsberger Durchschnitt 52 Quadratmeter, bleiben indes ein Handicap; ideal für Singles, Zweierbeziehungen, Künstler und Studenten, oft zu klein für Familien. Dabei hat Dulsberg eine Menge für seine Jüngsten zu bieten, sechs Kitas, ein Spielhaus, ein Haus der Jugend, die Elternschule, die Villa Dulsberg, zahlreiche Spielplätze.


Maßstab für Städtebauer aus aller Welt


Viele der Häuser in Dulsberg sind in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg entstanden, als die Größe der Wohnungen nicht entscheidend war, sondern vielmehr, dass man eine hatte und dies möglichst nahe am Arbeitsplatz. 1919 hatte der damalige Oberbaudirektor Fritz Schumacher das Quartier als Blaupause für den künftigen Städtebau Hamburgs entworfen.


Die denkmalgeschützten Laubenganghäuser der Gebrüder Frank im Bereich Oberschlesische Straße/Schlettstadter Straße/Mülhäuser Straße und Dulsberg-Süd mit ihren Rundbögen an den Stirnseiten sind ein Ausdruck der Architektur-Experimente jener Zeit. Sie galten noch nach dem Zweiten Weltkrieg als richtungweisend. Heute reisen Architekten aus aller Welt an, um die Bauten zu besichtigen. Die meisten der im Krieg zerstörten Häuser wurden daher wieder aufgebaut. Ein großer Teil steht unter Denkmalschutz, rund 20 Prozent; zwei bis fünf Prozent sind es derzeit im Bundesdurchschnitt.


Dulsberg hat sich dennoch gewandelt. Und der Stadtteil, grün und ruhig, ist heute weit besser als sein lange lädierter Ruf, den eine hohe Zahl Hartz-IV-Empfänger prägte. Um sich aus den Klischees zu befreien, gab das Stadtteilbüro Ende der 1990er-Jahre eine Imagekampagne bei der Kommunikationsagentur fischerAppelt in Auftrag. Heraus kam der Slogan: Dulsberg, ungeschminkt und lebenswert.


Und noch etwas gibt dem Stadtteil sein unverwechselbares Gesicht: seine Grünzüge, die Spiel- und Freiflächen, die großzügigen Innenhöfe. Diese Vorzüge entdecken immer mehr Menschen, vor allem junge Leute. Das Café May an der Stormarner Straße hat sich zu ihrem Treffpunkt entwickelt. Gut und günstig lauten die Bewertungen im Internet, entsprechend frequentiert ist diese Lokalität, an Wochenenden oft bis tief in die Nacht.


Eliteschule für Sporttalente


Der Kulturhof in der Schule Alter Teichweg hat sich als Veranstaltungszentrum für Kleinkunst etabliert, der Comedy-Cup ist stadtbekannt wie der Dulsberg Poetry Slam, die Dulsberger Herbstlese oder die Jazz-Frühschoppen. Organisiert werden sie von der "Arena Dulsberg", einer Gruppe Ehrenamtlicher, die aus dem Elternrat der Stadtteilschule Alter Teichweg erwuchs.


Auch der 1988 entstandene und danach weiter ausgebaute Olympiastützpunkt Hamburg/Schleswig-Holstein (OSP) am Dulsbergbad mit seinen Hightech-Einrichtungen wie dem Strömungskanal für die Schwimmer trägt zur Aufwertung des Stadtteils bei. Direkt neben dem OSP lädt die Eliteschule des Sports am Alten Teichweg Talente aus ganz Deutschland ein, Sport und Schule sinnvoll zu kombinieren. Dulsberg ist im Kommen - fröhlich und erlebenswert.


Dulsberg historisch

Um es gleich vorwegzunehmen: Den Namen gebenden Berg gibt es schon seit 130 Jahren nicht mehr. Eigentlich war der Dulsberg auch nur ein sehr großer Sandhügel, der – nach heutigerOrtsbezeichnung – zwischen Krause und Probsteier Straße gelegen hatte. Schon in den 1880er-Jahren war er abgegraben worden, weil der Sand für diverse Bauprojekte gebraucht wurde.


Direkt hinter der Barmbeker Grenze lagen die Felder des Großbauern Dreckmann, ansonsten war die Dulsberger Feldmark um die Mitte des 19. Jahrhunderts eine ziemliche Einöde. Die Ärmsten derArmen lebten hier, Tagelöhner, Heimarbeiter, Arbeitslose. Einige arbeiteten als Besenbinder, andere als Hausierer oder Erntehelfer. Die ersten Dreckmannschen Insthäuser hatten keinerlei Versorgungsleitungen, die später entstandenen waren etwas menschenfreundlicher gebaut.

Die Industrie drängt nach Dulsberg


Mit dem Ausbau des Osterbekkanals (der Aushub wurde für den Bau neuer Bahndämme gebraucht) drängte Hamburgs Industriegürtel bis an die Dulsberger Feldmark. Am Alten Teichweg entstanden unter anderem 1910 die Fischkonservenfabrik Walkhoff und 1912 eine riesige Müllverbrennungsanlage mit zwei je fast 60 Meter hohen Schornsteinen. Damit wurde im Grunde eine triste Tradition fortgesetzt, denn auch von Wandsbeker Seite hatte man über viele Jahrzehnte alles in Richtung Dulsberg abgeschoben, was in der Stadt nicht erwünscht war.


In einer Chronik, veröffentlicht von der Dulsberger Geschichtswerkstatt, heißt es dazu: „Wie Perlen an einer Kette reihte sich am Grenzweg gegenüber dem Dulsberger Land im 19. Jahrhundert, was die Bürger in Wandsbek aus hygienischen und sozialen Gründen aus dem wachsenden „Fabrikort“ an dessen äußersten Rand verlegt wissen wollten.“ Dazu gehörten unter anderem Gaswerk, Friedhof, Armenhaus und diverse Militäranlagen.


Als in der Stadt der Wohnraum immer knapper wurde, geriet das Land am nordöstlichen Stadtrand für mögliche Bauvorhaben ins Blickfeld, die Gegenden, die heute die Stadtteile Barmbek-Nord und Dulsberg bilden. 1894 war Dulsberg als Teil Barmbeks Hamburger Stadtteil geworden, ein eigener Stadtteil wurde es erst 1951. In einem ersten Bebauungsplan war der Dulsberg noch ausschließlich für die Ansiedelung mit Industriebetrieben vorgesehen, erst in der revidierten Fassung war dann auch Wohnbebauung mit eingeplant.


1914 speckte man die Pläne noch einmal ab, ein Rangierbahnhof und die Industriebauten wurden gestrichen. Schließlich gelang es Oberbaudirektor Fritz Schumacher, in den noch einmal reformierten Bebauungsplan größere Grün- und Ruhezonen einzubauen und die Höhe der Wohnblocks abzusenken. Die Bebauung bot nun viele Gestaltungsmöglichkeiten, experimentierfreudig ging man ans Werk. Erklärtes Ziel war es, ruhige und gesunde Wohnverhältnisse für die wirtschaftlich schwach gestellte Bevölkerung zu schaffen.


Die Siedlung Dulsberg entsteht


Nahezu alle führenden Architekten Hamburgs, unter ihnen Hans und Oskar Gerson, Erich zu Putlitz und Rudolf Klophaus, waren in den 1920er-Jahren an den Entwürfen beteiligt, wobei die Gesamtverantwortung in den Händen von Schumacher lag. 1923 war der erste Bauabschnitt fertiggestellt. Die Siedlung Dulsberg zeichnete sich schließlich durch parallel geordnete Blocks in Zeilenbauweise aus. Die vielen Grünflächen, Gärten, Duschen und Sonnenbäder auf den Dächern waren für Kleinwohnungsbau der damaligen Zeit äußerst ungewöhnlich und fanden landesweit große Beachtung. Dem Kinderreichtum vieler Familien begegnete man mit Spielplätzen, Planschbecken und großen, grünen Innenhöfen.


Damit war in Dulsbergs neuen Häusern aber noch lange nicht alles eitel Sonnenschein. Das Alltagsleben war jahrelang durch die Folgen der Weltwirtschaftskrise geprägt. „Arbeitslosigkeitund sinkende Sozialunterstützung zogen Zwangsräumungen und schwerwiegende persönliche Notlagen nach sich“, heißt es in der Dulsberg-Chronik. Auch litten die Bewohner noch jahrelangunter dem Gestank der unmittelbar angrenzenden Industrieanlagen. Auch Dulsberg wurde im Zweiten Weltkrieg durch Luftangriffe fast völlig zerstört, und manches verschwand für immer.


Das nordwestlich der Nordschleswiger Straße gelegene Wendebecken des Osterbekkanals wurde mit Trümmerschutt aufgefüllt, die Reste der schon 1939 stillgelegten Müllverbrennungsanlagegesprengt. Die in ihrer Gesamtstruktur als vorbildlich geltende Siedlung wurde in Teilen wiederaufgebaut. Dulsbergs ungewöhnliche Architektur lebte weiter.

von Redaktion hamburgerimmobilien.de am 20.09.2018

Anzeige
Anzeige
Anzeige

Bitte stimmen Sie der Einwilligung zu.