Sinstorf - Wo Geschichte lebendig ist

Autobahn A7 Tankstelle und Raststätte Harburger Berge (Fahrtrichtung Nord)
Klaus Bodig/HA

 

Leben an der Nahtstelle zwischen Großstadt und Natur, da, wo die Kirche im Dorf geblieben ist.

 

Fläche in Quadratkilometer: 2,6
Einwohner: 3636
Wohngebäude: 843
Wohnungen: 1463
Immobilienpreise Grundstücke in Euro/Quadratmeter: 226
Immobilienpreise Eigentumswohnungen in Euro/Quadratmeter: keine Daten
(Quelle: Statistisches Amt für Hamburg und Schleswig-Holstein, Stand 2016/2017)

 

Die Zeit hat ihre Spuren hinterlassen. Die Jahre haben genagt an den alten Steinen. Manche Worte erscheinen nur schemenhaft. Ein paar Jahre noch, dann verschwinden sie ganz, abgewaschen vom Regen, verwittert, verblasst. Catharina Dorothea Meyer, Johann Heinrich Meyer, Margarethe Magdalena Menck.

Menschen, die in Sinstorf zu Hause waren. Vor mehr als 140 Jahren. Längst wären sie vergessen, hätte man ihre Namen nicht in Stein gemeißelt. Die Gräber stehen im Garten der alten Sinstorfer Kirche. Hier wird Vergänglichkeit schonungslos spürbar.


Nur einen Steinwurf von der trutzigen, schiefwinkligen Kirche entfernt dröhnt die Gegenwart auf der A 7. Der Lärm von Lastwagen und Pkw fliegt bei Westwind ungehindert in den Stadtteil hinein. Über die Gräber, die alten Reetdachhäuser, das Pfarrhaus und die historischen Höfe hinweg. Und man ist für einen Moment froh über diesen Lärm, weil man spürt, dass man jetzt ist, und hier und heute, in diesem Viertel, das seinen Name aus der Mittelhochdeutschen Vorsilbe "sine" und der Endung "torf" zusammensetzt. Letzteres bedeutet "Dorf". Und das Erste? "Immer während", "dauernd". Sinstorf ist und bleibt: ein Dorf. Das passt.


Begehbares Geschichtsbuch


Für viele Menschen hier am südlichen Ende der Stadt gilt: einmal Sinstorf, immer Sinstorf. Überhaupt gleicht Sinstorf einem begehbaren Geschichtsbuch, dessen spannendstes Kapitel die Sinstorfer Kirche, eine Ansgar-Gründung aus dem 9. Jahrhundert, ist. Sie wird unter Historikern gern als das älteste noch stehende Gebäude in Hamburg gehandelt. Durch Ausgrabungen wurde belegt, dass bereits im 9. Jahrhundert parallel zur Nordwand der heutigen Kirche der erste, damals noch hölzerne Kirchenbau errichtet wurde. Vermutlich Ende des 11. Jahrhunderts entstand dann eine dreischiffige Feldsteinbasilika. Im 17. Jahrhundert wurde der Rundturm durch einen hölzernen Glockenturm ersetzt, 1906/07 der Eingang in die östliche Hälfte der Südwand verlegt.


Leben neben der Autobahn


Ein besonderes Fleckchen Sinstorf ist die Käfersiedlung auf dem ehemaligen Flakgelände, deren Straßen allesamt nach Insekten der Gattung Coleoptera benannt sind: Marienkäferweg, Rüsselkäferstieg, Sandkäferweg -- um nur einige zu nennen. Hier wurden den Siedlern nach Kriegsende 70 Parzellen zugesprochen. Die ersten Gebäude entstanden aus dem, was die Bomben von Sinstorfs Häusern nach dem Krieg übrig gelassen hatten. Auch heute pflegen die Bewohner einen guten Zusammenhalt. Die Siedlergemeinschaft mit dem putzigen Namen Käferfleiß trifft sich regelmäßig, feiert gemeinsam und fährt aus.


Feiern unter freiem Himmel


Die meisten Menschen in Sinstorf haben sich an das ständige Rauschen der nur 200 Meter entfernten Autobahn gewöhnt. Sie haben sich daran gewöhnt, dass Wiesen bebaut wurden und die Stadt das kleine Dorf nach und nach in die Arme geschlossen hat. Und sie haben sich damit arrangiert, dass es im Stadtteil selbst keinen einzigen Laden mehr gibt. Wer Milch, Brötchen oder eine Zeitung braucht, fährt zu einer der Tankstellen an der Winsener Straße. Oder zu einer der beiden Fast-Food-Ketten, die ihre großen Schilder in den weiten Himmel gen Autobahn recken.


Das letzte Gasthaus der Familie Derboven wurde vor 20 Jahren geschlossen. Seitdem müssen die Menschen zum Ausgehen auf andere Stadtteile ausweichen. Oder einfach unter freiem Himmel feiern. Zu Ostern gibt es ein Osterfeuer, im Sommer das Schützenfest des Schützenvereins Sinstorf und im November das große Laternenfest, das Kirchengemeinde und Freiwillige Feuerwehr ausrichten. Gejubelt und gefeiert wird natürlich auch im Sportverein Grün-Weiß Harburg.


Beschaulichkeit am Stadtrand

Und wem das zu wenig ist, wer statt Land- mal wieder Großstadtluft schnuppern möchte, der steigt in den Bus nach Harburg und ist von dort mit der S 3 in 14 Minuten in der Innenstadt. Und froh, wenn er am Abend wieder heimkehrt in die Beschaulichkeit am Stadtrand. Zum Einkaufen müssen die Sinstorfer nur kurz über die Stadtteilgrenze nach Langenbek. Oder sie fahren ins niedersächsische Örtchen Hittfeld, das mit dem Auto zehn Minuten entfernt liegt.


Und genau das macht den Charme von Sinstorf aus. Dass hier das Ende erreicht ist. Oder der Anfang, je nachdem, welche Perspektive man einnimmt. Das Ende der Großstadt. Oder der Anfang vom Land. Sinstorf liegt irgendwo dazwischen. Hier kommen die Rehe ans Haus, der Fuchs läuft durch die Gärten, hier gackern Hühner, bellen Hunde und manchmal hoppeln die Hasen über die Terrassen. Zwischen Feldern und Wiesen hindurch schlängelt sich die Engelbek, umsäumt von zahlreichen Wanderwegen. Es gibt Pferdekoppeln und einen großen Wald. Es gibt Idylle -- und die A 7.


Sinstorf historisch

Wieder so ein ehemaliges Dorf, in dem man heute viele moderne Häuser sieht, die Autobahn hört, und dann doch einen alten Kern findet, bei dessen Anblick die Geschichte gleich wieder lebendig wird. Hier ein Einblick: Schon Ende des 11. Jahrhunderts gab es in Sinstorf eine Feldsteinbasilika,die um 1400 zu ihrer heutigen Form umgebaut wurde. Teile der alten Steinkirche sind nur noch im Nordteil des heutigen Gotteshauses nachweisbar, deshalb gilt der 1310 fertiggestellte Turm auf Neuwerk als Hamburgs ältestes komplettes Bauwerk.


Sinstorf warb aber schon im späten 19. Jahrhundert kühn mit seiner „tausendjährigen Kirche“, weil vor Ort die Existenz eines Holzkirchleins schon für das 9. Jahrhundert nachgewiesen werden kann. Im 16. Jahrhundert war Sinstorf Zentrum eines Kirchspiels mit 14 Dörfern, im 19. Jahrhundert waren es sogar 17. Für das Jahr 1823 sind bereits 1880 Einwohner erfasst – allerdings bei einer Ausdehnung von Neugraben bis  Meckelfeld. Im Jahr 1900 lebten in Sinstorf 202 Menschen in 25 Häusern, und bis ins Jahr 1906 erhielten die Schüler in einem einzigen Klassenzimmer Unterricht.


1907 wurde die neue Schule mit zwei Lehrerwohnungen fertiggestellt, das Hauptgebäude ist heute noch erhalten. Äußerlich wenig verändert hat sich auch der Gutshof der Hastedts, dessen Hauptgebäude um 1880 gebaut wurde.


Drei spektakuläre Brände


In der Sinstorf-Chronik von Horst Heinrici finden sich die Beschreibungen von drei spektakulären Bränden: Im Jahr 1901 wurde ein Großfeuer verursacht, nachdem Hausbesitzer Wilhelm Derbovenoffenbar versucht hatte, einen Schornstein seines Hofes in Eigenarbeit zu reparieren. Bereits 1884 war das Sinstorfer Pastorat abgebrannt, das man allerdings ein Jahr später schon wiederaufgebaut hatte. Nach Einschätzung des Pastors könnte das heimwehkranke Hausmädchen das Feuer gelegthaben, um schneller wieder nach Hause zurückzukommen.


Und noch eine Brandstiftung – allerdings mit traurigerem Ergebnis: Unmittelbar vor Beginn von Umbauarbeiten an dem historisch wertvollen Pfarrwitwenhaus wurde das Gebäude im Juli 1973 angezündet. Das Häuschen, in dem über Jahrhunderte die Witwen der örtlichen Geistlichen ihrenLebensabend verbracht hatten, konnte nicht wiederaufgebaut werden und wurde abgerissen.


Mit dem wirtschaftlichen Aufschwung Harburgs und Hamburgs und der entsprechenden Ausdehnung im Zuge der Industrialisierung hatte sich auch Sinstorf zu einem beliebtenAusflugsgebiet für die gestressten Städter entwickelt. Vor Ort lockten unter anderem Wendt’s Gasthaus und das Lokal Waldkater, das sich als „Luftkurort und Pensionat“ präsentierte. ChronistinIrene Schmidt schreibt, dass Sinstorf damals von ausgedehnten Heideflächen umgeben war und dass die Dorfkinder das Heidekraut pflückten, um daraus Kränze zu binden.

von Redaktion hamburgerimmobilien.de am 19.09.2018

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