Marmstorf - Das "Blankenese Harburgs"

Garten von Ehren
Michael Rauhe

 

Obwohl man sich auf Traditionen besinnt, gewinnt Marmstorf an Attraktivität für Jüngere. Jedes Jahr steigt hier Norddeutschlands größte Abi-Party.

 

Fläche in Quadratkilometer: 5,8
Einwohner: 8850
Wohngebäude: 2225
Wohnungen: 4269
Immobilienpreise Grundstücke in Euro/Quadratmeter: 323
Immobilienpreise Eigentumswohnungen in Euro/Quadratmeter: 2056
(Quelle: Statistisches Amt für Hamburg und Schleswig-Holstein, Stand 2016/2017)

 

Es ist wohl ein Privileg, in einem Stadtteil zu leben, in dem eine der Hauptsorgen dem Problem gilt, wie und wo sich die Kunden am Tresen ihres örtlichen Bäckers anzustellen haben. Kaum etwas beschäftigt die Marmstorfer so sehr, wie die bisweilen fehlende Ordnung und Disziplin am Brötchentresen ihres geliebten "Bäcker Becker".

Vielleicht lässt sich daran ablesen, was Marmstorf ausmacht: Im "Blankenese Harburgs" ist -- eigentlich -- alles in wunderbarer Ordnung. Ein 580 Hektar großes Idyll am südlichen Stadtrand. Mit eigener Autobahnauffahrt, reichlich Grün, viel Platz für junge Familien und in direkter Nähe zur großen Stadt. Nicht wenige Marmstorfer halten ihrem Stadtteil deshalb lebenslang die Treue. Das führt dazu, dass Marmstorf seit Jahren zu den Top 3 der Stadtteile mit dem höchsten Altersdurchschnitt gehört: 31,1 Prozent der Bewohner sind älter als 65. Nur in Poppenbüttel ist das Durchschnittsalter derzeit höher.

Am besten nähert man sich dem Stadtteil in einer Niedergebirgslandschaft am Rande der Harburger Berge über die Bremer Straße. Von dort überblickt man das Dorf, denn es geht gen Südosten bergab: Marmstorf besticht -- wie Rom, nur ein bisschen kleiner -- durch seine sanften Hanglagen. Der alte Dorfkern mit Kopfsteinpflaster und eindrucksvollen Fachwerkhäusern, liegt unten in der Senke. Um den sogenannten Feuerteich gruppieren sich die schönsten Marmstorfer Häuser, unter Reet und zwischen uralten Eichen.

Steigen wir also hinab, zum Beispiel durch das Appelbütteler Tal, in dem Autos nichts zu suchen haben. Der Weg, beginnend beim Restaurant Eichenhof, windet sich. Linker Hand ist Privatgelände. Pferde grasen. Rechts hügelt sich der Mischwald. Fast im Tal, weitet sich der Blick -- und wird ungläubig. Der Wanderer meint, plötzlich vor einer Alm im Allgäu zu stehen. Oder im schottischen Hochland. Das Einzige, was fehlt, sind Kuhglocken an den grasenden Highland- und Galloway-Rindern. Das Naturschutzgebiet Appelbütteler Tal ist in seiner Art einzigartig, nicht nur in Hamburg, sondern in ganz Norddeutschland. Einzigartig schön ist es auch. Ein Platz für Romantiker. Wer hier nicht innehält, der picknickt auch unter Neonlicht.

Niedergebrannt und wieder aufgebaut

Dann geht es weiter in Richtung der alten Marmstorfer Mitte, zum bereits erwähnten Feuerteich. Hier scheint die Zeit endgültig stehen geblieben zu sein. Enten paddeln um eine kleine Bauernhaus-Nachbildung, dahinter gruppieren sich die ausladenden Ständerbauten in Originalgröße. Der richtige Ort für einen kleinen Ausflug in die Geschichte: Schon 1196 wurde der Flecken erstmals urkundlich erwähnt. Um 1326 residierte an dieser Stelle wohl eine Ministerialenfamilie. Im Winsener Schatzregister von 1450 heißt es, "Marmestorpe" sei bereits eine größere Siedlung. Gut 200 Jahre darauf besteht Marmstorf aus 14 Hofstellen. Sogar eine eigene Schule gibt es.

Dann dies: Im Jahr 1814 wird das Dorf von Napoleons Truppen niedergebrannt. Lediglich eines der alten Marmstorfer Häuser bleibt erhalten. Doch die Marmstorfer legen Hand an, wie es so ihre Art ist: Sie bauen ihr Dorf, das von 1852 an selbstständige Gemeinde wird, wieder auf. Während das benachbarte Harburg mit seinem Hafen wirtschaftlich Gas gibt, bleibt Marmstorf, was es bis dahin immer war: ein Dorf. Mit dem Groß-Hamburg-Gesetz wird es der Hansestadt zugeschlagen. Im Rathaus der großen Stadt wird 1979 ein Erhaltungsgebot erlassen für das Fachwerk-Ensemble am Feuerteich, das inzwischen längst von Neubausiedlungen eingerahmt ist.

Eines der besten Fischlokale Hamburgs

Seit den 1930er-Jahren wird immer irgendwo gebaut. Spitzdachhäuser auf 1000 Quadratmeter großen Grundstücken, weiße Bungalows am Garbersweg, Reihenhäuser zwischen Langenbeker Weg und Osterfeldweg, an der Elfenwiese und am Nymphenweg. Zu den Einfamilienhäusern mit herrlichem Weitblick am Heino-Marx-Weg gesellen sich Neubauten, am Schafshagenberg errichten Betuchte schicke Villen. Und mittendrin im neuen Marmstorf, links und rechts des Ernst-Bergeest-Weges, entstehen ein Hochhaus und Schluchten mit mindestens viergeschossigen Mehrfamilienhäusern: Menschen aus ganz Hamburg ziehen in den 60er-Jahren in den grünen Süden. Junge Familien zumeist.

Am Ernst-Bergeest-Weg entsteht für sie ein Einkaufszentrum, das heute mit seinem Retro-Charme die ideale Kulisse für eine 70er-Jahre-Freiluft-Revue abgeben würde. Die Kirche der Auferstehungsgemeinde schlägt architektonisch (leider) in die gleiche Kerbe. Sie steht am Eingang des Harburger Stadtparks, der zwar größtenteils zu Wilstorf gehört, für die Marmstorfer jedoch gefühlt ihrem Stadtteil zuzurechnen ist. In diesem Park, der von der "Harburger Alster", der Außenmühle, dominiert wird, gibt es das Freizeitbad MidSommerland und eines der besten Fischrestaurants Hamburgs, den Leuchtturm.

Der Marmstorfer feiert gern. Drei Veranstaltungen prägen das Dorfleben. Abiturienten aus ganz Hamburg treffen sich seit 1988 immer im Juni zur "Ackerfete" im Appelbütteler Tal. Was einst eine gesellige Zusammenkunft der örtlichen Gymnasiasten war, ist mittlerweile eine Institution in der überschaubaren Südhamburger Party-Landschaft. Bis zu 1500 Jugendliche und junge Erwachsene treffen sich zum gemeinsamen Astra-Konsum.

Die beiden weiteren Saisonhöhepunkte amüsieren eher die älteren Semester: Das letzte Januar-Wochenende gehört der "Teichwette", bei der der jeweils amtierende Schützenkönig einem Prominenten trockenen Fußes in der Teichmitte begegnen muss. Es wird Geld für den guten Zweck gesammelt. Und im Sommer ist der Besuch des Schützenfestes Bürgerpflicht. Für die Kinder organisiert die Freiwillige Feuerwehr einen märchenhaften und deshalb meist sehr, sehr gut besuchten Laternenumzug. Wie auf dem Schützenfest und bei der Teichwette, macht auch hier der örtliche Spielmannszug die Musik.

Wohlfühlen im Gartenstuhl

Obwohl man sich auf Traditionen besinnt, gewinnt Marmstorf langsam an Attraktivität für die jüngeren Semester: Am Beutnerring zog zuletzt gar eine moderne Tanzschule ein ( www.tanzt-hamburg.de ), und seit das weltweit tätige Baumschulhaus von Ehren ein Edelgartencenter an der Maldfeldstraße eröffnete, gibt es in Marmstorf sogar ein Café. Wer dies besucht, genießt den Kuchen nicht nur zwischen traumhaften Pflanzen, sondern -- wenn man es drauf anlegt -- auch auf Outdoor-Sitzgelegenheiten, die er für einen vierstelligen Betrag pro Stück gleich mitnehmen kann. Die wenigsten Marmstorfer tun dies. Wäre dieser Stadtteil ein Möbelstück -- es müsste ein pflegeleichter Gartenstuhl sein. Mit Polster.

 

Marmstorf historisch

Nur wenige Ecken Hamburgs haben einen so schön erhaltenen Dorfkern wie Marmstorf. Dieser Stadtteil konnte sich über viele Jahrzehnte seinen Charakter bewahren, erst viel später prägten Hochhäuser und moderne Einzelhäuser das Erscheinungsbild mit. In der Franzosenzeit war das Dörfchen total zerstört worden, hauptsächlich, um den Besatzern ein freies Schussfeld zu verschaffen. Nach einer Geschichte, die vor Ort gern erzählt wird, sollten die Marmstorfer Bauern zu Zwangsarbeit und -abgaben genötigt werden. Sie lehnten ab, brachten stur ihre Ernte ein – und mussten mitansehen, wie ihre Höfe zur Strafe niedergebrannt wurden.

Die vom Zentrum Richtung Süden führende Marmstorfer Poststraße entspricht dem alten Postweg von Harburg über Tostedt nach Bremen. Der hatte seine Bedeutung verloren, als 1811/12 auf Befehl der französischen Regierung weiter westlich die Bremer Chaussee angelegt wurde. Die heißt heute B 75 – und führt an den beiden zu Marmstorf gehörenden Dörfern Lürade und Appelbüttel vorbei, die 1338 beziehungsweise 1450 erstmals erwähnt wurden.

Industrielle Bauten, prachtvolle Villen

Von 1830 an siedelten in Marmstorf verstärkt Menschen, die in Harburg arbeiteten, und die Einwohnerzahl stieg analog zum rasanten Aufstieg Harburgs – allerdings längst nicht so stark wie beispielsweise in Heimfeld. Entlang der Bremer Straße entstanden damals die üblichen Industriellenvillen, wie sie überall an der Peripherie Hamburgs und Harburgs errichtet wurden. Besonders prachtvoll geriet die im Jahr 1911 gebaute Villa des Unternehmers Arnold Mergell. Fünf Jahre zuvor hatten Mergell und Carl Klaue die Harburger Oelwerke Brinckman & Mergell gegründet.

Doch das alte Dorf ließ sich nie ganz verdrängen. Zwischen 1852 und 1859 war Marmstorf selbstständige Gemeinde des preußischen Landkreises Harburg, und 1859 wurde es als Gemeinde in den Landkreis eingegliedert. Seit 1937 gehörte es zu Hamburg. Nach dem Krieg wurde in Marmstorf kräftig gebaut, größere Projekte waren von 1954 an Krönenbarg und zwischen 1963 und 67 die Wohnsiedlung Ernst-Bergeest-Weg. Mit der Zeit war die ehemalige Feldmark zwischen Marmstorf und dem Appelbütteler Tal weitgehend bebaut.

Die älteste Schule im Raum Harburg

In den 1970er-Jahren gab es zunehmend Unruhe in Marmstorf, weil die Einwohner um das historische Erscheinungsbild ihres Stadtteils fürchteten. 1979 wurden dann zum Schutz „eines der letzten gut erhaltenen Ortsbilder auf Hamburger Gebiet“ (so der Kulturhistoriker Hermann Hipp) eine Gestaltungsverordnung und ein Erhaltungsgebot erlassen. Die Schule Marmstorf reklamiert für sich, die älteste im ganzen Harburger Raum zu sein.

Schon in einer Urkunde aus dem Jahr 1667 wird zwar eine Schule vor Ort erwähnt, wo sie sich genau befand, ist aber unbekannt. Der erste Standort, der sich genau lokalisieren ließ, lag am Dorfteich, an dem 1850 ein eingeschossiges Schulhaus errichtet wurde. 1909 bezogen die Kinder und Lehrer die neue Schule am Lürader Weg. 1937 wurde der Grundstein für die heute noch bestehende Schule am Ernst-Bergeest-Weg gelegt.

Wegen der Nähe zur einstigen Schule wird der Feuerlöschteich im Volksmund auch heute noch „Schulteich“ genannt. Ursprünglich hatte dieser Teich zum Hof des Gemeindevorstehers und Gastwirts Christoph Eddelbüttel gehört. Nach dessen Tod im Jahr 1930 übereignete sein Sohn der Gemeinde den Teich. Die Gastwirtschaft Eddelbüttel war einst Marmstorfs Postscheune gewesen.

von Redaktion hamburgerimmobilien.de am 19.09.2018

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