Neuwerk - Hamburgs Außenposten im Watt

Wattwagen fahren auf der Insel Neuwerk, im Hintergrund ist der Leuchtturm von Neuwerk zu sehen.
Bodo Marks

 

3000 Gäste je Einwohner und ein Turm, der bis Afrika leuchtet. Bis zum zuständigen Bezirksamt am Klosterwall sind es 108 Kilometer.

 

Fläche in Quadratkilometer: 3,3
Einwohner: 34
Wohngebäude: -
Wohnungen: -
Immobilienpreise Grundstücke in Euro/Quadratmeter: -
Immobilienpreise Eigentumswohnungen in Euro/Quadratmeter: -
(Quelle: Statistisches Amt für Hamburg und Schleswig-Holstein, Stand 2016)

 

Neuwerk ist Hamburgs untypischster Stadtteil. Er liegt mitten im Wattenmeer. Neben der gleichnamigen 3,3 Quadratkilometer großen Hauptinsel gehören noch die - bis auf einen Vogelwart - unbewohnten Nachbarinseln Scharhörn und Nigehörn zu dem Stadtteil im Nationalpark Hamburgisches Wattenmeer. Verwaltet wird Neuwerk seit 1969 vom Bezirk Hamburg-Mitte.

Bis zum zuständigen Bezirksamt am Klosterwall sind es 108 Kilometer. Ein Behördengang würde für die 34 Neuwerker deshalb leicht zur Tagesreise. Da macht es Sinn, dass sie einen Ansprechpartner für Verwaltungsangelegenheiten vor Ort haben: Volker Griebel regelt als Inselobmann all die behördlichen Dinge.

Seinen Lebensunterhalt verdient er als Gastronom und Wattwagen-Fahrer. Den Umgang mit den Pferden hat der ausgebildete Gestütswärter einst bei Hein Bollow, einem der erfolgreichsten deutschen Jockeys und Trainer im deutschen Galoppsport, erlernt. Manchen Sieg hat Griebel direkt vor der Haustür in Cuxhaven beim jährlichen Duhner Wattrennen geholt. Heute schätzen Gestütsbesitzer wie Kaffee-König Albert "Addi" Darboven seinen Pferdeverstand. Er schickt schon mal einen Rekonvaleszenten zur Kur zu Griebel auf die Insel.

Auch Griebels Ehefrau Afra hilft mit, Pferde für die Rennbahn im Watt wieder flottzumachen. Dafür steigt sie in einen Trainingssulky und steuert die Traber über den weichen Meeresboden an der Spülkante der Außenelbe entlang. Dabei hat sie immer den Wattboden im Blick. Denn hin und wieder wird im Wechselspiel der Gezeiten ein größerer Brocken Bernstein freigespült.


Der Schule gehen die Kinder aus

In der Inselschule, die 2012 ihr 100-jähriges Bestehen feierte, ist seit 2016 wieder Betrieb. Derzeit lernen dort zwei Kinder im Grundschulalter mit ihrer Lehrerin. Dass sie viele neue Klassenkameraden bekommen, ist aber unwahrscheinlich: Es gibt keine Mietwohnungen, und in der Nationalpark-Schutzzone darf privat nicht gebaut werden. Arbeitsplätze sind Mangelware.

In der Gastronomie werden nur Saisonkräfte beschäftigt. Wer nicht selbstständig ist, arbeitet für die Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt (BSU) oder für die Hamburg Port Authority (HPA). Die frühere Stackmeisterei, eine Art Bauhof der Hafenverwaltung, kümmert sich als größter Arbeitgeber um alle öffentlichen Aufgaben. Dazu zählen die Trinkwasserversorgung, die Kläranlage sowie Deich- und Wegepflege. Die meisten HPA-Mitarbeiter haben ihre Familien auf dem Festland. Sie kommen mit dem HPA-Schiff "Nige Wark" im Zehn-Tage-Rhythmus zum Arbeiten auf die Insel, leben in einer Unterkunft auf dem HPA-Betriebshof.

Gezeiten regeln den Postverkehr

Selbst der Postbote kommt vom Festland, seit es keine eigene Poststelle mehr auf Neuwerk gibt. Von April bis Ende Oktober reist der Zusteller mit dem Schiff von der Alten Liebe in Cuxhaven an. Er bringt nicht nur die Post: Als mobiles Postamt nimmt er auch Sendungen mit aufs Festland. Zudem leert er die beiden Briefkästen. Die Leerungszeiten sind "gezeitenabhängig". Ist die Liegezeit des Schiffs wegen der Tide für die Tour des Postboten über die Insel zu kurz, fährt er mit den Tagesgästen auf dem Wattwagen nach Duhnen zurück.

Einer der ersten prominenten Gäste war im August 1901 der Dichter Rainer Maria Rilke, der hier mit seiner schwangeren Ehefrau Clara verspätete Flitterwochen verbrachte. Vier Jahre später wurde das Hotel Zur Meereswoge eröffnet und die Insel zum Seeheilbad erklärt. Seit 1912 verkehren die Wattwagen zwischen Neuwerk und den Cuxhavener Badeorten Sahlenburg und Duhnen.

Badefreuden nebensächlich

Etwa 120.000 Gäste kommen jedes Jahr auf die Insel. Dabei hat sie nicht einmal einen Strand beziehungsweise nur bei Ebbe. Ausgelassene Badefreuden zählen also nicht zu den Attraktionen. Spaziergänge schon eher! Knapp eine Stunde braucht man für eine Umrundung der Insel. Bei Niedrigwasser geht es mit sachkundiger Führung durchs Watt bis zum Nachbar-Eiland Scharhörn.

Der Insel-Rundweg streift die wichtigsten Sehenswürdigkeiten. Vom Nationalpark-Haus geht es zum Friedhof der Namenlosen. Anno 1319 gegründet, gaben die Neuwerker angespülten Wasserleichen hier eine letzte Ruhestätte. Heutzutage werden Tote nur noch auf dem Festland bestattet.

Über den Sommerdeich führt der Spaziergang zur früheren Ostschleuse und weiter zur Ostbake. Sie wurde im Januar 2007 vom Sturm "Kyrill" zerstört. Gemeinsam haben HPA und BSU, das Technische Hilfswerk sowie der Neuwerk-Förderverein das hölzerne Seezeichen wieder errichtet. Allerdings hat es heute keinen nautischen Nutzen mehr. Den hat jedoch der Radarturm am Schiffsanleger. Er ist der Beginn der Radarkette, die bis in den Hamburger Hafen hinein die Unterelbe entlang installiert ist.

Deutschlands ältestes Leuchtfeuer

Auch der Leuchtturm verrichtet noch immer seinen Dienst als Quermarkenfeuer, das in dieser Form seit 1814 in Betrieb ist. Heute ist das älteste noch betriebene Leuchtfeuer Deutschlands voll automatisiert. Alle 20 Sekunden blinkt es in drei Sektoren weiß, rot und grün auf und ist bis zu 16 Seemeilen weit sichtbar. Der 38 Meter hohe Wehrturm wurde nach zehnjähriger Bauzeit im Jahre 1310 eingeweiht.

Zur 700-Jahr-Feier gab die Deutsche Post eine 45-Cent-Briefmarke mit Neuwerks Wahrzeichen heraus. Es ist nicht die erste Marke mit dem Turm-Konterfei: Schon 2003 legte die Post der westafrikanischen Republik Benin eine Serie mit Leuchttürmen aus aller Welt auf. Der Neuwerker Turm schmückt die 200-Franc-Marke.


Neuwerk historisch

War es ein Traumjob? Als Vogt von Neuwerk beschäftigte man sich unter anderem als Turmwächter und zeichnete für die Sicherung von Deichen und die Bergung von Strandgut verantwortlich. Ansonsten konnte man die gute Luft und vor allem die unglaubliche Einsamkeit des Insellebens auskosten. Neuwerk war erst Mitte des 16. Jahrhunderts besiedelt worden, die ersten Pächter hießen Helmecke Schmidt, Nanne Heerssen und Hinrich Joelssen.

Von 1572 an war Bastian Rulle erster Vogt, der auch auf der Insel lebte. Am längsten hielt es Johann Heinsohn auf dem Posten aus: Er war Vogt von 1737 bis 1788. Schade: Nach 1915 wurde die Stelle des Vogts gestrichen. Die Nige O (Neue Insel, das O steht für die Form eines Eilands) erhielt nach dem Bau des 30 Meter hohen Leuchtturms durch Hamburg ihren heutigen Namen. Der Turm ist Hamburgs ältestes Bauwerk und das letzte verbliebene Festungsgebäude. Das Leuchtfeuer wurde 1814 eingerichtet, seit 1924 steht der Turm unter Denkmalschutz.

Eine Telegraphenverbindung und 17 Stück Hornvieh

Einige interessante Eckdaten zu Neuwerk finden sich in der Inselchronik von Arthur Obst aus dem Jahr 1888. Danach hatte der Vogt erst von 1839 an den Status eines hamburgischen Beamten – obwohl er von Anfang an vom Hamburger Rat eingesetzt worden war. Zuvor war er nichts anderes als ein abgabepflichtiger Landwirt gewesen, der das Amt zusätzlich ausübte.

Ende Juli 1870 war eine „electrische Telegraphenverbindung“ zwischen Neuwerk und Cuxhaven eingerichtet worden, und erst ab 1885 folgte die einigermaßen regelmäßige Beförderung von Briefen und Paketen zwischen der Insel und Hamburg. In der Chronik finden sich auch lückenhafte Statistiken. So wurden 1810 auf Neuwerk genau 31 Einwohner, 19 Pferde, 17 Stück Hornvieh gezählt.

1880 gab es 69 Einwohner Als der Archivar Otto Beneke 1849 nach Neuwerk reiste, fand er „eine unbeschreibliche Einsamkeit – nur von einzelnen schnell segelnden Schiffen, von den wunderlich geformten Baaken und von Scharen der Seevögel unterbrochen“. Beneke in seinem Tagebuch: „Bei hohen Fluthen schützen die Deiche nicht, die Insel läuft voll Wasser, die Einwohner flüchten unters Dach oder in den Thurm. Das sind gewohnte Inconvenienzen, die ihnen kaum fatal erscheinen.“

Und auch das registrierte der Archivar: „Ein Schullehrer lebt hier auch, der täglich sein Mittagessen bei den Einwohnern der Reihe nach holen muss; sonst schlief er auch täglich in einer anderen Hütte, jetzt hat er ein Zimmer neben der Schulstube und dem Betsaal. Heirathen darf er contractlich nicht. Der jetzige hat eine Braut und hatte sich um eine andere Stelle vergebens beworben. Wir suchten ihn zu trösten, so gut es ging.“

Ein Hafen der Superlative

1937 war Neuwerk preußisch, von 1946 an gehörte es zu Niedersachsen. 1969 kam die Insel zusammen mit Scharhörn wieder zu Hamburg. Ein Hintergrund dieses Staatsvertrags (von 1961) war die Sicherung als Standort für einen Hamburger Tiefwasserhafen. Henny Wiepking stellte in ihrem Neuwerk-Buch „Es war einmal“ einige Zeitungsmeldungen aus der damaligen Zeit vor, die sich mit dem gigantischen Projekt beschäftigten. Kostprobe: „Der neue Vorhafen im Wattenmeer wird ein Hafen der Superlative! Es ist unter anderem beschlossen: Der Anschluss an das Binnenland erfolgt durch einen 200 Meter breiten Damm zwischen Neuwerk und Sahlenburg (…). 90 Bewohner von Neuwerk, darunter sechs Bauern, werden umgesiedelt.“

Wiepking im Vorwort: „Veränderungen wahrhaft umwälzenden Ausmaßes (…) stehen dem Lande Ritzebüttel bevor.“ Bis zum Ende der 1970er-Jahre verfolgte man den Plan noch weiter, dann wurde das Wattgebiet zum Nationalpark Hamburgisches Wattenmeer erklärt. Das Land Ritzebüttel erlebte keine Umwälzung – und auf Neuwerk blieb vieles, wie es immer schon war.

von Redaktion hamburgerimmobilien.de am 20.09.2018

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