Niendorf - Paradies des gepflegten Mittelstands

Langer Tag der Stadtnatur; Dammwild im Gehege des Niendorfer Geheges.
HA

 

Stadt- oder Landmensch? Wer beiden Kategorien nicht entspricht, passt genau hierher. Einer der begehrtesten Stadtteile Hamburgs.

 

Fläche in Quadratkilometer: 12,4
Einwohner: 41.836
Wohngebäude: 8473
Wohnungen: 20.710
Immobilienpreise Grundstücke in Euro/Quadratmeter: 515
Immobilienpreise Eigentumswohnungen in Euro/Quadratmeter: 3259
(Quelle: Statistisches Amt für Hamburg und Schleswig-Holstein, Daten: Stand 2016)

 

Die medizinische Versorgung ist wirklich überragend. Fünf Apotheken allein am Tibarg, rund 80 niedergelassene Ärzte verteilt über den Stadtteil. Niendorf. In den besten Jahren ist man hier, leicht angegraut, aber lebensfroh, etwas gealtert, aber aktiv. So ist die Apothekendichte überzeugender als die der Kneipen und die Zahl altersbedingter Leiden zumindest gefühlt höher als die von Kinderkrankheiten. Aber das stört hier nur wenige, denn die Menschen lieben es, hier zu leben, Freunde zu haben statt einfach nur Nachbarn, Stadt und Land gleichermaßen genießen zu können. Niendorf - Paradies des gepflegten Mittelstands.


Wir befinden uns im "Neuen Dorf", wie der Stadtteil übersetzt heißt. Und das, ein Dorf, war Niendorf die weitaus meiste Zeit. Am Tibarg opulente Bauernhöfe samt Misthaufen; die Gebäude mit Reet gedeckt; am Straßenrand einladende Gasthöfe. "Zeitungen gab es kaum, abgesehen vom ,Fremdenblatt', das ab 1907 mit der Straßenbahn aus Hamburg kam", schreibt Stadtteilchronist Horst Moldenhauer. Nicht einmal 100 Jahre liegt die Zeit der Misthaufen und reetgedeckten Häuser zurück. Das "Neue Dorf" ging im Juli 1943 bei einem verheerenden Bombenangriff unter, elf Menschen starben, 89 Gebäude brannten aus.


Schon immer beliebtes Ausflugsziel


Den Angriffen alliierter Piloten folgte mit Wiederaufbau und Wirtschaftswunder eine Zeit, in der man sich auch hier Nostalgie nicht leistete. Immer mehr Menschen wollten hierher, und der Flughafen, der in Niendorf an die Gärten grenzt, expandierte Jahr um Jahr. Und so ist heute der bäuerliche Charme des vergangenen 20.

Jahrhunderts nur noch mit viel Vorstellungskraft erahnbar. Oder im Frühjahr bei Westwind. Dann riecht die Luft schon mal nach Land und nach früher. Das ist aber wirklich selten, sonst ist's hier eher klar und frisch.


Für Hamburg war Niendorf einst ein Ort der Sommerfrische. Johann Theodor Merck, Chef der Hamburg-Amerika-Linie, ließ sich im Gehege eine Villa bauen. Ganz in der Nähe genoss die Bankiersfamilie Berenberg-Gossler das Leben in ihrer, na ja, Jagdhütte. Und da war auch noch Hermann F.M. Mutzenbecher, der die Hamburg-Mannheimer erfunden hatte und auch eine Villa im Gehege hochziehen ließ. Die bröckelt jetzt gut sichtbar so vor sich hin, während die alte Merck-Villa hübsch saniert wurde, leider den Blicken weitgehend entzogen durch Zaun und Grün.


Damals wie heute kam auch der gemeine Städter gern zu Besuch. "In der warmen Jahreszeit", schreibt Stadtteilchronist Moldenhauer, "wurden die Lokalitäten gern von Hamburgern besucht. Zu Pfingsten gab es durch die vielen Kutschen manch einen Verkehrsstau."


An allen Ecken wird gebaut


Den gibt es heute nahezu täglich. Dank der Berufspendler und trotz der 1985 eingeweihten U-Bahn (Linie 2) und der Buslinie 5. Gut 40.000 Menschen leben hier, vor allem in Ein- und Zweifamilienhäusern. Dass Niendorf noch immer einer der begehrtesten Stadtteile ist, zeigt sich nicht zuletzt daran, dass nahezu jede Baulücke, die sich auftut, geschlossen wird.


In Gärten entstehen schmucke Häuschen, auf größeren Lücken Mehrfamilieneinheiten, alte Gebäude werden plattgemacht, um gleich neue hochzuziehen. Hier lebt es sich eben gut. Wer beim Test "Sind Sie ein Citytyp oder ein Landtyp?" gleich in beiden Kategorien durchfällt, weder dem einen, noch dem anderen Typus entspricht, der ist hier genau richtig.


Man kennt und mag sich, lebt ruhig und dennoch recht citynah, kauft - beispielsweise am zentral gelegenen Tibarg - gut ein, hat die perfekte Erholung und das intakte Vereinsleben eines Vorortes. Es gibt den Bürgerverein und die Geschichtswerkstatt, Bürgerhaus und Zukunftsrat, Freiwillige Feuerwehr und Liedertafel, den kleinen Minigolfklub und den großen Turn- und Sportverein.


Die Kinder kehren als Eltern zurück


Aber noch mal einen Schritt zurück: Unter anderem wegen des Baubooms vor gut 30 Jahren, als es Scharen junger Familien hierher zog, ist Niendorf jetzt ein wenig in die Jahre gekommen. Die Kinder, inzwischen selbst Eltern, sind häufig weggezogen, die Eltern naturgemäß etwas ergraut - aber immer noch gerne hier. Von Einwohnerwellen sprechen Stadtsoziologen gern, wenn sie den Trend beschreiben. Einen Trend, den Experten in wenigen Jahrzehnten heute sehr jungen Stadtteilen wie Hoheluft-West vorhersagen. Wenn sie recht behalten, dürfte sich Niendorf umgekehrt wieder deutlich verjüngen.


Das Gehege ist Trumpf


Gäbe es nur einen einzigen Grund, hierher zu ziehen, müsste man das Niendorfer Gehege anführen. Wandern Sie einmal die Kollau entlang, beispielsweise startend an einem kleinen Weg, der nahe dem Bondenwaldbad von der Friedrich-Ebert-Straße abgeht. Keine Sorge, verlaufen kann man sich nicht. Es geht immer die Kollau entlang.


Rechts ausgedehnte Flure, Wiesen und Pferdekoppeln. Links der Wald, dahinter versteckt die Wohnviertel. Sie kreuzen zwei Straßen und sind dann mittendrin im Gehege. Das Flüsschen entlang können Sie zu Fuß bis Eppendorf laufen.


Und wenn Sie etwas Glück haben, sehen sie Bussarde oder Rehe. Vielleicht begegnen Sie einem Fuchs, unter Umständen verliebten Pärchen, wahrscheinlich Müttern mit Nachwuchs auf dem Weg zu dem schönen Spielplatz am Ende der Straße Bondenwald, ganz sicher aber Joggern in bunten Leibchen.


Niendorf historisch

Viele Hamburger glauben, dass die Bebauung der Stadt vor dem Zweiten Weltkrieg in nordwestlicher Richtung kurz hinter Eppendorf endete und dass heutige Stadtteile wie Eidelstedt, Niendorf und Stellingen erst in den Nachkriegsjahren richtig erschlossen und bebaut wurden. Faktisch waren sie aber schon lange gut ausgebaute Dörfer gewesen, die im Laufe der Jahre um Landsitze, Villen, Einzel- und Mehrfamilienhäuser mit zum Teil ausgedehnten Gartenanlagen ergänzt worden waren. Auch Niendorf hat eine lange (Bau-)Tradition.


Zum Pfingstfrühstück ins Grüne, Mord am Nachtwächter


Über Jahrhunderte war die Gegend ein wichtiges Torfabbaugebiet: Ohmoor, Rahmoor und Schippelsmoor, im Norden des 1343 erstmals erwähnten Bauerndorfes liegend, lieferten den Torf, den die Stecher nach Hamburg und Altona verkauften. Es gab dabei so viel zu tun, dass die örtlichen Bauern während der Erntezeit über Arbeitskräftemangel klagten.


Niendorf galt als nicht eben arm und hatte im Jahr 1891 schon 1000 Einwohner. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts setzte – wie in vielen anderen Dörfern im stadtnahen Umkreis – ein grundlegender Wandel ein. Niendorfs Felder wurden zu beliebten Bauplätzen für die Villen und Landhäuser wohlhabender Hamburger, zugleich entdeckte man es als Naherholungsgebiet.


Hoheluft und Lokstedt waren um 1900 sehr beliebte Ausflugsziele der Hamburger – und an den Wochenenden manchem schon zu überlaufen. Wer es weniger quirlig haben wollte, spazierte von Lokstedt, wo es seit 1892 eine Straßenbahnhaltestelle gab (seit 1898 dann für die „Elektrische“), über eine lang gezogene Chaussee, die damalige Hamburger Straße, in Richtung Niendorf weiter, um in den Gaststuben rund um den Marktplatz einzukehren oder eine lange Wanderung durch das idyllische Gehölz zu unternehmen.


Die Chaussee wurde ausgebaut, heute heißt sie Kollaustraße. Wie man in der „Kollauer Chronik“ nachlesen kann, fielen an längeren Feiertagen wie zum Beispiel Pfingsten die Hamburger und Altonaer Ausflügler zu Hunderten in Niendorf ein. Rühreier und Brot mit Schinken waren ein beliebtes Frühstück – Kostenpunkt: 1,40 Mark. Wegen der weiten, umständlichen Heimreise blieben viele über Nacht – die sie nicht selten im Freien verbringen mussten. Erst ab 1907 gab es eine eigene Haltestelle am Niendorfer Markt – mehr als 70 Jahre lang. Eine düstere Anekdote aus dem Jahr 1919: Im Mai erschossen Einbrecher den Dorfnachtwächter, was zur Gründung einer Bürgerwehr führte.


Niendorf wird großstädtisch


Besonders an Markttagen war in Niendorf viel los. Der Oktobermarkt diente dabei auch als Kontaktbörse für potenzielle Arbeitnehmer: Arbeit suchende Mägde und Knechte banden sich ein Strohseil um den Arm, das sie erst ablegten, wenn eine neue Anstellung ergattert war. 1927 schloss sich Niendorf mit Lokstedt und Schnelsen zu einer Großgemeinde zusammen.


Anfang der 1930er-Jahre regulierte man Tarpenbek und Kollau, sodass die Niendorfer Böden entwässert wurden. Als Folge setzte enorme Bautätigkeit ein, und allein zwischen 1931 und 1939 verdoppelte sich die Zahl der Einwohner auf fast 8000. Das alte Niendorf ging im Krieg unter. Bei zwei Luftangriffen im Juli und August 1943 starben insgesamt 24 Menschen. Der beliebte Dorfkrug Zum Bäcker, Schulhaus und Pastorat stürzten im Bombenhagel ein, Münsters Gasthof, seit 1936 Niendorfs erstes Kino, wurde vernichtet, genau wie rund 90 Gebäude im Ortskern. Fast alle mit Reet gedeckten Häuser und Höfe brannten nieder – darunter der prächtige Hof Behrmann. Einige Anwesen konnten zwar wiederaufgebaut werden, aber Ende der 1950er-Jahre wichen sie dann endgültig dem Wohnungsbau.


In der Zeit danach veränderte Niendorf sein Gesicht stark, vor allem durch den Ausund Umbau der vielen Verkehrsachsen wie Niendorfer Marktplatz, Friedrich- Ebert-Straße und Garstedter Weg. Aus dem Großteil des Ohmoors wurde Niendorf- Nord. Erahnen lässt sich das alte Niendorf beim Blick auf die Marktkirche. Sie sieht heute noch genauso schön aus wie bei ihrer Einweihung im Jahr 1770.

von Redaktion hamburgerimmobilien.de am 18.09.2018

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