Sülldorf - Großstadt trifft Idylle

Keine Lebensmittelgeschäfte mehr im Ortskern von Sülldorf. Die mehrspurige Sülldorfer Landstraße.
Klaus Bodig

 

Stadtteil der Gegensätze - Hier begegnen sich modernes Stadtleben und traditionelle Landwirtschaft, Inlineskater und Traktorfahrer

 

Fläche in Quadratkilometer: 5,7
Einwohner: 9430
Wohngebäude: 2371
Wohnungen: 4381
Immobilienpreise Grundstücke in Euro/Quadratmeter: 719
Ein- und Zweifamilienhäuser: 4092
Eigentumswohnungen: 3165
(Quelle: Statistisches Amt für Hamburg und Schleswig-Holstein, Stand 2016)

 


"Eigentlich könnten wir an der Schranke Eintritt verlangen", sagt Agnes Timmermann. "Das hier ist gelebtes Museum." Der Bahnübergang teilt Sülldorf. Während südlich der Gleise das Stadtleben beginnt, gackern nördlich davon die Hühner und tuckern die Traktoren. Der Geruch von Pferden liegt in der Luft. Es riecht nach Dorf mitten in Hamburg. In Sülldorf sind Landwirte noch voll erwerbstätig. Die Betriebe werden schon über Generationen geführt, auch wenn die Jungen einiges anders machen.

Die Timmermanns betreiben seit 1750 Landwirtschaft. "1989 haben wir uns entschlossen, den 40 Hektar großen Betrieb nach den strengen Bioland-Richtlinien zu führen", sagt Agnes Timmermann. Sie verzichten auf künstliche Düngemittel und Gentechnik. Ihre Kürbisse, Kartoffeln und Karotten können direkt im Hofladen gekauft werden. Das Sortiment stocken die Timmermanns mit Waren ausgewählter Biolieferanten auf. Ein Stück heile Welt zum Anfassen.

Erholung vom Großstadtstress

Viele Bauern haben auf Reitpensionen umgesattelt. Städter wollen reiten, und in Sülldorf können sie ihr Pferd sicher unterstellen. Zum Beispiel auf dem Geesthof von Barbara und Hauke Behrmann. Pferde umsorgen die Behrmanns hier, seit sich Milchwirtschaft und Schweinemast für sie nicht mehr lohnten. Auf dem Hof ist auch der Reitverein Geesthof organisiert.

Nicht nur die vielen Reiterhöfe locken die Städter. Bei gutem Wetter prallen in Sülldorf schon mal Welten aufeinander. Dann "stürmen" Inlineskater, Radfahrer, Spaziergänger und Reiter gleichzeitig den sonst so beschaulichen Ort, um sich im Klövensteen und in der Feldmark vom Großstadtstress zu erholen. Wenn ihnen auf schmalen Wegen dann der eine oder andere Traktor entgegenkommt, fühlen sie sich in der Dorfidylle gestört. Doch der weitaus überwiegende Teil der Besucher bleibt friedlich, und die Sülldorfer üben sich in Gelassenheit.

Neben der Freiwilligen Feuerwehr Sülldorf-Iserbrook und dem Sportverein TSV Sülldorf ist im alten Teil die Schule am Lehmkuhlenweg Dreh- und Angelpunkt. In den Pausen sausen die Grundschüler mit Tretautos über den Schulhof. Ein ganzer Fuhrpark steht bereit. Die Lehrer legen viel Wert darauf, dass sich die Kinder ausreichend bewegen.

Südlich der Schienen zieht das Tempo merklich an. Entlang der viel befahrenen Sülldorfer Landstraße reihen sich Reitladen, Feinkostgeschäfte, Bäckereien, Supermarkt und Modeboutiquen aneinander. Ein Segelmacher geht hier seinem Handwerk nach. Neue Wohngebiete mit Einzel-, Reihen- und mehrgeschossigen Häusern sind in den 60er- und 70er-Jahren am S-Bahnhof Iserbrook und an der Straße Op'n Hainholt entstanden. Das gastronomische Angebot ist überschaubar: Das Memory bietet gehobene Küche, das Tibet-Restaurant Exotik und die Gaststätte Spiros und Spiros prima Gyros.

In Sülldorf ist auch das Hamburger Musikkonservatorium

Im Sommer ist das Bad Marienhöhe ein attraktives Ausflugsziel. Im benachbarten Waldpark Marienhöhe, wo die Firma Heidorn bis in die 50er-Jahre Kies für die Betonherstellung abbaute, quaken in den Teichen Frösche und trällern in den Bäumen Vögel. An warmen Tagen wird hier gegrillt und gechillt - und bei Schnee wird gerodelt.

Wichtigste Institution neben der Kirche der Evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde Sülldorf-Iserbrook ist das Hamburger Musikkonservatorium, das sich seit 1977 gleich neben dem S-Bahnhof befindet. Tausende Hamburger haben ihren musisch begabten Nachwuchs schon hierher geschickt. Studenten aus ganz Deutschland und der Welt absolvieren hier ihre Ausbildung. "Von zwei bis 80 ist bei uns jedes Alter vertreten", sagt Markus Menke, Leiter der Musikschule. Unterrichtet werden alle Instrumente und alle Stile.

Auch wenn es so aussieht, als wäre Sülldorf geteilt: Im Franziskus, einer Lebens- und Arbeitsgemeinschaft für behinderte Menschen, werden beide Welten wieder vereint. Regelmäßig kommt hier das Sülldorf Forum zusammen, bestehend aus Firmen, Vereinen, Landwirten, Politikern, Bürgern, Polizei- und Schulvertretern, um über die Belange ihrer Heimat zu sprechen und auch die großen Feste gemeinsam zu planen.


Sülldorf historisch

Ungewöhnlich lange hatte es gedauert, bis Sülldorf überhaupt so einigermaßen wachgeküsst worden war. Das Dörfchen hatte lange zu Holstein-Pinneberg gehört, war 1866 preußisch geworden und wurde 1927 nach Altona eingemeindet. Sülldorf blieb auf liebenswerte Weise etwas verschlafen, ein „Dörp“ eben, während sich im noch weiter „draußen“ liegenden Rissen schon viel mehr tat. Für 1757 ist eine Beschwerde des „Schulhalters“ wegen räumlicher Enge und baulicher Mängel verbrieft – es ging dabei um das Kuhhirtenhaus.

Eine „Bedarfshaltestelle“ für Sülldorf

1803 lebten laut Volkszahlregister 209 Menschen in Sülldorf. Schon 1883 erhielt es seinen eigenen Bahnhof, die „Bedarfshaltestelle“ auf der Strecke zwischen Altona und Wedel, doch auf die Bautätigkeit und die Einwohnerzahl hatte das ungleich weniger Einfluss als andernorts. Immerhin: 1885 wurde Wilhelm von Appens Wirtshaus am Bahnhof gebaut, um durstigen Reisenden die Möglichkeit zur Einkehr zu geben.

1871 kaufte der schrullige und steinreiche Simon Heeren einen der Sülldorfer Höfe, den Haidhof. Er ließ sich ein stattliches, aber nicht protziges Gutshaus erbauen und nannte den Ort Marienhöhe. Wie er auf diesen Namen kam, ist nicht überliefert. Seit ungefähr 1830 hatte es auf dem Gelände eine Ziegelei gegeben, aber Heeren beschloss, das Gewerbe einzustellen und stattdessen den benachbarten Wald zu vergrößern.

Der Satz „Dat Hus is ut Sülldörper Tagelstein’n baut“ war damit Vergangenheit. Das Gutsgelände umfasste rund 130 Hektar, 80 davon auf Sülldorfer Gebiet. Es erstreckte sich von Rissen bis über den Sülldorfer Kirchenweg hinaus. Heeren, der die Gegend mehr als 20 Jahre prägte und dessen Haus von scharfen Hunden bewacht wurde, machte den Sülldorfern Angst. Er galt als unberechenbar, nur sein aufbrausendes Temperament schien konstant. Mal schoss er mit dem Gewehr auf vermeintliche Störenfriede, mal feierte er großzügige Feste. Einmal soll er die Feuerwehr gerufen haben – nur um die verdutzten Männer mit einem Festmahl zu überraschen.

1910: Ein Feuerteufel in Sülldorf

Apropos Feuerwehr: Im August 1910 macht ein schlimmer Fall von Brandstiftung in Sülldorf Schlagzeilen. Gleich drei mit Stroh gedeckte Häuser stehen plötzlich in Flammen, obwohl sie rund 150 Meter voneinander entfernt liegen. Makaber: Es kann kaum gelöscht werden, weil die Wasserstelle direkt neben einem der brennenden Höfe liegt. Der Fall ist ganz klar Brandstiftung.

Ähnliches geschieht 1910 auch in Stellingen, EidelstedtNiendorf und Lokstedt. Überall in der Gegend werden schließlich heimliche Brandwachen platziert, die den Übeltätern aber auch nicht auf die Spur kommen. Zwei Jahre später wird die heimliche Zündelei aus ganz anderen Gründen erschwert: Sülldorf erhält elektrisches Licht, und nachts steht nun manche Lampe im Fenster.

Simon Heeren starb 1894, seine Erben hatten keine Lust auf den Betrieb. Sie verkauften Marienhöhe 1906 an die neu gegründete Terraingesellschaft Blankenese Marienhöhe in Altona. Die Ländereien der Landhauskolonie Marienhöhe wurden in Grundstücke unterteilt und neu bebaut. Der Gutshof, inzwischen auf 50 Hektar geschrumpft, ging 1921 in den Besitz des jüdischen Unternehmers Julius Asch über, der ihn 1938 zwangsweise verkaufen musste. Asch, enteignet, verzweifelt, gehetzt, beging 1939 Selbstmord.

Heute befindet sich das Freibad Marienhöhe genau auf dem Gelände, auf dem vor mehr als 180 Jahren die Sülldorfer Ziegelei lag. 1950 kam endlich die S-Bahn in die Gegend, Sülldorf rückte näher an die Stadt.

von Redaktion hamburgerimmobilien.de am 17.09.2018

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