Langenbek - Das wohl unbekannteste Viertel Hamburgs

Radbrucher Stieg - Die Vermessung Hamburgs
HA

 

Im viertkleinsten Stadtteil der Hansestadt steht das wohl bekannteste Zwergenhaus der Republik.

 

Fläche in Quadratkilometer: 0,8
Einwohner: 4020
Wohngebäude: 1194
Wohnungen: 1863
Immobilienpreise Grundstücke in Euro/Quadratmeter: 252
Immobilienpreise Eigentumswohnungen in Euro/Quadratmeter: keine Daten
(Quelle: Statistisches Amt für Hamburg und Schleswig-Holstein, Stand 2016/2017)

 


Es war wohl so eine Art Hassliebe, das mit Heinz Strunk und Langenbek. "Irgendwie war alles eng und winzig", schreibt der Autor in seinem Kultbuch "Fleisch ist mein Gemüse". "Straßen, Gärten, Häuser, ja selbst Bäume, Pflanzen und Haustiere wirkten eine Nummer kleiner als anderswo." Er lästert über den "Außenbezirk" von Harburg, in dem er mit seiner Mutter ein 60-Quadratmeter-Reihenhaus bewohnte, und darüber, dass die Straßen der Siedlung "ausschließlich nach niedersächsischen Provinzkäffern" wie Walsrode oder Bispingen benannt seien. Und doch kehrte er nach seinen skurrilen Auftritten als Musiker auf den Bretterbühnen ebenjener Provinznester immer wieder hierher zurück: "Ich gehörte nach Harburg!" Strunk schreibt "Harburg", denn Langenbek, das kennt ja niemand.

Die Keimzelle war ein einzelner Hof

Tatsächlich ist der viertkleinste Hamburger Stadtteil den allermeisten Bewohnern der großen Hansestadt völlig unbekannt -- was den meisten Langenbekern wiederum völlig egal ist. Sie wollen hier ihre Ruhe haben, auf Schickimicki à la Eppendorf können sie verzichten. Die Frage nach der Herkunft beantworten viele daher wie Strunk mit "Harburg", was ja nicht falsch, sondern nur unpräzise ist. Wer es genau wissen will, kann ja nachfragen.

Und das lohnt sich. Denn jenseits von "Fleisch ist mein Gemüse" hat Langenbek noch eine ganz andere Seite. Eine Idylle, die nicht von ungefähr kommt. Der Hof der Familie Riege, mit Blick gen Norden auf einen Wald mit mächtigen Buchen und gen Westen auf Wiesen, durch die sich die Engelbek windet, gilt als Keimzelle Langenbeks, 1450 erstmals erwähnt als "Langenbeke de Meyersche Hof".

Erst im 19. Jahrhundert wurde aus dem Hof langsam ein Dorf -- 1888, zu einer Zeit, als viele Hamburger dicht gedrängt in Gängevierteln hausten, hatte die niedersächsische Gemeinde Langenbek ganze 148 Einwohner. Kurz vor der Eingemeindung nach Hamburg 1937 waren es immerhin gut 400.

Wohngebiet für 2000 Menschen

Mit dem bronzezeitlichen Grabhügel im Wäldchen gibt es zwar ein letztes Zeugnis für die frühere Besiedelung der Gegend. Aber prägend für den Stadtteil ist heute die rasante Entwicklung nach dem Krieg. Auf den Feldern und Wiesen entstanden in den 50er- und 60er-Jahren mehrere Hundert Reihenhäuser -- unter anderem jenes "Zwergenhaus", das Heinz Strunk literarisch verewigte.

Abgeschlossen wurde diese Entwicklung hin zum dichtestbesiedelten Stadtteil Harburgs von 1987 bis 1994 mit der Erschließung des "Langenbeker Felds". Dessen Überreste bilden die grüne Lunge des Stadtteils -- inklusive des wunderbaren Waldspielplatzes. Die Interessengemeinschaft Langenbeker Feld setzte sich damals sehr für Infrastruktur in dem neuen Wohngebiet für 2000 Menschen ein, das wegen seiner familienfreundlichen Bauweise bei jungen Familien gut ankommt. Ihr ist es zu verdanken, dass die Bewohner von Gordonstraße oder Blättnerring wenigstens eine eigene Bushaltestelle bekamen.

1992 wurde am Blättnerring auch eine Einrichtung eröffnet, die Langenbek 20 Jahre später einige Schlagzeilen bescheren sollte -- das "Haus am Wäldchen" der evangelischen Kirchengemeinde Sinstorf. Sie hatte ursprünglich sogar erwogen, im Langenbeker Feld eine eigene Kirche zu errichten, beließ es dann aber doch bei einem Gemeindehaus, das fortan zum Stadtteiltreffpunkt wurde. Ob Kinderkrabbelgruppe oder Seniorengymnastik, Kinderchor oder eigene Gottesdienste für die vielen Russlanddeutschen, die nach der Wende in Langenbek und Umgebung eine neue Heimat fanden -- im Haus am Wäldchen gab es das alles. Bis 2012.

Anwohnerprotest gegen ein Hospiz

Dann verkaufte die finanziell klamme Kirche das Haus an das Rote Kreuz. Dieses investiert drei Millionen Euro, um das Gebäude bis 2013 in ein Hospiz für Sterbenskranke umzubauen. Der Protest einiger weniger Anwohner, die schon die Leichenwagen in ihrer beschaulichen Gegend Schlange stehen sahen und einen Wertverlust ihrer Häuser beklagten, bescherte Langenbek viel Aufmerksamkeit -- sogar dem "Spiegel" war das eine Geschichte wert.

Für die Langenbeker ist es Alltag, ihren Stadtteil verlassen zu müssen. Denn abgesehen von einigen Geschäften für den täglichen Bedarf fehlt es hier an allem -- Ärzte, Sportvereine, soziale Einrichtungen, Kneipen: alles Fehlanzeige. Und vieles, was dem Namen nach den Anschein erweckt, zu dem Stadtteil zu gehören, liegt in Wahrheit jenseits der Grenze: So gehört der Langenbeker Friedhof zu Sinstorf, der Tennisklub Langenbek liegt in Marmstorf, und selbst die Grundschule und der Kindergarten an der Scheeßeler Kehre liegen auf Sinstorfer Gebiet, obwohl die Langenbeker sie als "ihre" Schule und "ihre" Kita betrachten. Schicksal eines winzigen Stadtteils.

Aus Bobbycars werden Autos

Das Fehlen einer Infrastruktur könnte auf mittlere Sicht zum Problem werden. Nach Langenbek zogen und ziehen wegen der ruhigen Lage und der relativ günstigen Immobilienpreise fast nur Familien mit Kindern. Und wenn die Kinder aus dem Haus sind, bleiben früher oder später Rentner.

Einen Mittelbau aus Singles, kinderlosen Paaren oder gar Studenten gibt es kaum. Der örtliche Schützenverein löste sich 2010 auf -- fehlender Nachwuchs. So gesehen ist die Umwandlung des Gemeindehauses in ein Hospiz auch ein Sinnbild für einen alternden Stadtteil. Ein Makel muss das aber nicht sein. Ein kleines Großstadtidyll, das vielleicht auch Heinz Strunk mitunter wehmütig an seine Langenbeker Zeit denken lässt. Jedenfalls bekennt er am Ende seines Buches: "Ich fahre mindestes einmal im Jahr dorthin und mache einen kleinen Spaziergang."

 

Langenbek historisch

An dem namensgebenden „langen Bach“ soll ein einzelner Hof schon Anfang des 14. Jahrhunderts gelegen haben. Vermutlich wurde er von einer Mühle flankiert. Später waren es dann zwei Höfe, dann wieder einer – alles etwas unklar. Im Winsener Schatzregister von 1450 wird das erste Haus als „De Meygersche“ Hof bezeichnet. Er gilt als Keimzeile des Örtchens, das sich heute nicht mehr wirklich am langen Bach befindet, aber immerhin über die Engelbek an der Grenze zu Marmstorf verfügt.

Dieses Gewässer gibt es schon seit 1564, als der Harburger Herzog Otto II. den Außenmühlenteich aufstauen ließ. Der dabei entstandene Bachverlauf hatte im Laufe der Geschichte wechselnde Namen, inzwischen hat sich Engelbek durchgesetzt. Langenbek-Chronist Horst Heinrici hält es für möglich, dass der ominöse allererste Hof an derselben Stelle lag, an der auch Langenbeks letzter Landwirt, Hermann Riege, sein Gehöft hatte. Der „erst“ 1819 erbaute Hof („Riegesches Bauerngewese“) mit der historischen Anschrift Langenbek 1 stellte 1990 den Betrieb ein. Das mit Stroh gedeckte Wohnhaus war 1973 abgebrannt und wurde danach neu errichtet. Die zu Rieges Anwesen gehörende Scheune soll bereits aus dem 17. Jahrhundert gestammt haben.

Nur 13 Häuser anno 1891

Wichtige Fakten aus der Geschichte Langenbeks: Zunächst hatte es, ungefähr ab Mitte des 17. Jahrhunderts, zur Vogtei Höpen gehört, danach war es in den 1850er-Jahren selbstständige Gemeinde im Landkreis Harburg geworden. 1937/38 wurde es im Rahmen des Groß-Hamburg-Gesetzes in die Hansestadt eingemeindet. Die abgeschiedene Gegend entwickelte sich dabei nur sehr langsam. Für das Jahr 1891 waren in Langenbek nur 13 Wohnhäuser verzeichnet.

Direkt an der Winsener Straße, damals noch eine einfache Kopfsteinpflaster-Landstraße ohne Gehweg, lag das 1874 erbaute Gasthaus zum Frankenberg, das später Celler Hof hieß. Daneben wurde das Haus des Schützenvereins von 1897 errichtet, der damals der erste Verein im Stadtteils
war. Auf alten Postkarten und Fotos ist ein Dörfchen in kaum noch vorstellbarer Einsamkeit zu erkennen – weit weg von der aufstrebenden Stadt Harburg.

Im Wohnhaus Langenbek 21 war die Colonial- und Fettwarenhandlung der Familie Kirschneit untergebracht. Das heute noch vorhandene Spritzenhaus der Feuerwehr hatte einen markanten, inzwischen verschwundenen Turm. An der Winsener Straße stand der Milchhandel der Schulenburgs, der 1914 zu einem Gasthaus („mit Ausspann“) wurde und in dem es laut Werbung unter anderem Bavaria St. Pauli Bier gab. Freiwillige Feuerwehr und Schützenverein präsentierten
sich beim jährlichen Umzug, in der Gast- und Gartenwirtschaft von Willi Lindner (erbaut 1874) feierten die Vereine ihre Feste.

Bauboom in Langenbek

1950 lebten immerhin schon 659 Menschen in dem kleinen Stadtteil. Ab Ende der 1950er-Jahre begann die intensive Bebauung, vor allem mit Reihenhäusern. Erst spät wurde die Winsener Straße begradigt und ausgebaut. Noch in den späten 1980er-Jahren gab es in der Umgebung jede Menge unbebaute Flächen, und der Blick über Wiesen und Felder hatte sich im Laufe vieler Jahrzehnte nur wenig verändert.

von Redaktion hamburgerimmobilien.de am 19.09.2018

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