Schnelsen - Ehrliche Haut

Wassermannpark
Michael Rauhe

 

Mode und Möbel, Babys und Blechlawinen: Die Zeichen stehen auf Wachstum, doch der hat seinen Preis.

 

Fläche in Quadratkilometer: 9,0
Einwohner: 29.409
Wohngebäude: 5758
Wohnungen: 13.289
Immobilienpreise Grundstücke in Euro/Quadratmeter: 466
Immobilienpreise Eigentumswohnungen in Euro/Quadratmeter: 2750
(Quelle: Statistisches Amt für Hamburg und Schleswig-Holstein, Daten: Stand 2016)


Wenn Hamburg das Tor zur Welt, ist, dann ist Schnelsen - um bei diesem Bild zu bleiben - das Tor zu Hamburg. Gewaltige Pendlerströme aus dem Westen und Norden der Metropolregion schwappen morgens durch den Stadtteil hinein, zum Abend hin wieder hinaus. Häufig genug vollzieht sich diese pulsierende Bewegung in zähem Fluss. Seine großen Verkehrsachsen, allen voran die Autobahn 7, die wie ein Canyon den Stadtteil durchschneidet, sind für Schnelsen Segen und Fluch zugleich. Es gibt nur wenige Stadtteile, die wie Schnelsen gleich zwei Autobahnzufahrten aufweisen - Tag für Tag passiert von bis zu 150.000 Autos. Für Staugeplagte ein Dauerbrenner im Verkehrsfunk.


Schnelsen steht, positiv betrachtet, für Dynamik und Wachstum. Die Einwohnerzahl steigt kontinuierlich. In den 1990er-Jahren ist mit der Großsiedlung Burgwedel ein ganzer Stadtteil im Stadtteil neu entstanden.


Menschen haben in dieser Gegend vermutlich von der älteren Steinzeit an gelebt. Spuren erster Besiedlung wurden am Klingberg, ein paar Hundert Meter südlich des Gutes Wendlohe, gefunden. Bis 1640 gehörte Schnelsen zur Grafschaft Pinneberg. Mitte des 17. Jahrhunderts zählte das Örtchen 14 Bauernhöfe, nach der großen Landreform 1789 waren es 36 Höfe. Wer nach den Spuren vom einst dörflichen Schnelsen sucht, findet sie noch am Bornkasthof an der Frohmestraße, am Sassenhof, wo die Schnelsener in der Weihnachtszeit gern den Christbaum kaufen, und am Gut Wendlohe.


1830 begann die Moderne


An die alten Zeiten erinnert auch der Stumpf der Windmühle an der Peter-Timm-Straße, deren Namensgeber einst Dorfvogt war. Bis 1770 gehörten die Schnelsener zum St.-Johannis-Kirchspiel in Eppendorf, wohin sie sich sonntags zum Gottesdienst aufmachten. Der Weg war lang und häufig matschig. Und so kamen die Schnelsener wegen ihrer schmutzigen Schuhe zum Spitznamen Swatthacken.


Nach 1830 hielt der Verkehr der Moderne Einzug in Schnelsen. Die erste am Reißbrett geplante, künstlich angelegte Fernstraße, die Kieler Straße von Altona gen Kiel, wurde 1832 eröffnet; 1841 folgte die Fertigstellung der Trasse von Schnelsen Richtung Lübeck (Oldesloer Straße).


Das älteste öffentliche Verkehrsmittel des Stadtteils, die Altona-Kaltenkirchener-Eisenbahn, Vorgängerin der heutigen AKN, beförderte von 1884 an Güter und Personen von Altona über den Eidelstedter Markt bis Schnelsen und weiter nach Quickborn. An Sonn- und Feiertagen fuhren die Erholungssuchenden mit der Bahn, aber auch mit Pferd und Wagen über die Holsteiner Chaussee ins Grüne. An diese Zeit erinnert das Hotel Ausspann (ehemals Lüdemanns Gasthaus) an der Holsteiner Chaussee 428.


Schön und schaurig


Hier und da stehen noch wunderschöne Villen aus der Gründerzeit. Das gewachsene Einfamilienhausgebiet Märchenviertel macht seinem Namen Ehre. An anderer Stelle offenbart sich indes ein dermaßen wüster Mix aus Gewerbehöfen, Ladenzeilen und 70er-Jahre-Wohnbauten, als habe sich ein Anfänger bei der Städtebausimulation Sim City irgendwie verklickt.


Von 1907 an konnten die Schnelsener mit der legendären Straßenbahnlinie 2 über Niendorf und Lokstedt bis zum Rathausmarkt fahren. Die Endstation war bis 1978, als die von vielen Menschen heiß geliebte Linie 2 eingestellt und durch Busse ersetzt wurde, an der Wählingsallee.


Auf dem Areal der ehemaligen Straßenbahnkehre, markiert durch die Kneipe Endstation, findet ein kleiner, aber feiner Wochenmarkt statt. Daneben wurde 1990 das Freizeitzentrum Schnelsen eingeweiht. Dort haben die Dixieland-Jazzer Schnelsen StomperS ihre musikalische Heimat; dort feierte das Comedy-Duo "Bader-Ehnert-Kommando" (Kristian Bader/Michael Ehnert) erste Erfolge.


1927 schlossen sich Schnelsen, Niendorf und Lokstedt zu einer Großgemeinde zusammen. Und erst am 1. April 1937 wurden die Schnelsener Hamburger: Mit dem Groß-Hamburg-Gesetz wurde der Ort aus dem Kreis Pinneberg gelöst und der Hansestadt zugeschlagen.


Krankenhaus größter Arbeitgeber


Spätestens seit 1968 brummt es richtig in Schnelsen. Nach dreijähriger Bauzeit wurde die Autobahn 7 bis Schnelsen-Nord in Betrieb genommen - mit dem dörflichen Charakter war es endgültig vorbei. Noch immer aber sagen echte Schnelsener, dass sie "ins Dorf" fahren, wenn es zum Einkauf an die Frohmestraße geht. Mag auch dort der Verkehr am Sonnabend nervig sein, so kommen die Menschen doch gerne ins "Herz von Schnelsen". So heißt auch die Interessengemeinschaft von Bürgern und Kaufleuten. Der größte Umsatz wird allerdings gut einen Kilometer nördlich gemacht. Dort prangt für jedermann weithin sichtbar und beinahe wie ein heimliches Wappen das Logo des schwedischen Möbelhauses Ikea.


Der größte Arbeitgeber des Stadtteils aber ist Ikea nicht. Auch nicht das nahe gelegene ModeCentrum, das 1974 eröffnet wurde. Denn die Schnelsener haben ja noch "ihr" Krankenhaus, kurz das Albertinen genannt. Das Albertinen ist "die" Geburtsklinik nicht nur für die Schnelsener, sondern für den ganzen Westen.
Generell ist Schnelsen kein Stadtteil, mit dessen Namen seine Bewohner angeben könnten, als zählte er zu Hamburgs In-Ecken. Es ist vielmehr so, als habe Herbert Grönemeyer einst nicht über Bochum, sondern tatsächlich über Schnelsen gesungen: "Du liebst dich ohne Schminke, bist 'ne ehrliche Haut, leider total verbaut ..."

 

Schnelsen historisch

Genau wie seine Nachbarstadtteile Niendorf und Lokstedt gehörte das Bauerndorf Schnelsen ursprünglich zur Herrschaft Pinneberg. Schnelsen war wesentlich ländlicher geprägt als das näher an Hamburg liegende Lokstedt – es gab zahlreiche Milchbauern, die vor allem nach Altona lieferten, kleinere Gewerbebetriebe und auch eine Ziegelei. Über Jahrzehnte mussten die Schnelsener den weiten Weg bis zur Eppendorfer St.-Johannis-Kirche zu Fuß gehen. Um 1803 lebten 315 Menschen in dem Dorf, 1841 waren es 390 und 1890 schon 810.


Den Zug anhalten – ein Fähnchen reichte


Mitte des 19. Jahrhunderts wurde Schnelsen durch den Bau der Holsteiner Chaussee mit Altona verbunden, was für das Dörfchen einen deutlichen Aufschwung mit sich brachte. Weitere wichtige Daten für die Verkehrsanbindung waren der Anschluss an die Bahnstrecke Altona–Kaltenkirchen (1884), die erst mit der Verlängerung nach Neumünster zur bekannten AKN wurde, und an die Straßenbahn von und nach Hamburg (1912 – 1978).


In Schnelsen ging es damals noch so ländlich zu, dass Passagiere, die per Bahn in Richtung Bramstedt mitfahren wollten, an einem der beiden Haltepunkte einfach ein Fähnchen aufhängten, sodass der aus Altona kommende kleine Zug dann stoppte. Die Gleise verliefen stellenweise auf der Altona-Kieler Chaussee (heute: Holsteiner Chaussee), was für allerlei Probleme sorgte. In der Chronik des Dorflehrers Alfred Wriedt aus dem Jahr 1908 kritisiert der Verfasser, „dass durch diese Bahn viele Unglücksund Todesfälle an Menschen und Tieren geschehen sind“.


Weitere Betrachtungen aus Wriedts Aufzeichnungen: „Eine traurige Erscheinung bei einem kleinen Teil der Bevölkerung ist ein Hang zum Borgen.“ Außerdem kritisiert der Lehrer „Putzsucht“ und führt dazu aus: „Einer sucht den anderen darin zu übertrumpfen. Es herrscht hier zum Beispiel der Glaube, dass Kinder ohne weiße Kleider auf Kinderfesten undenkbar sind.“ Den Gesundheitszustand der Bewohner bezeichnete Lehrer Wriedt als „zufriedenstellend“, was er auf „die hohe Lage Schnelsens“ zurückführte.


Ausflugsziel und Arbeiterwohnort


Als Ausflugsziel war Schnelsen bei Hamburgern und Altonaern ähnlich beliebt wie Lokstedt, allerdings deckte man sich hier eher mit knackfrischen landwirtschaftlichen Produkten ein oder genoss ausgedehnte Wanderungen durch das Schnelsener Moor, während der Ausflug ins schon stärker zersiedelte Lokstedt mehr für Kurzspaziergänge und Gasthausbesuche stand. Zwei beliebte Orte zum Einkehren waren Fritz Sottorfs 1893 erbauter Gasthof an der Gabelung der Holsteiner Chaussee und der Oldesloer Straße und die Gastwirtschaft Zur Doppeleiche, die 1904 an der Hamburger Straße (heute: Frohmestraße) eröffnet worden war.


Mit steigendem Wohlstand wurden die schon ewig bestehenden Bauernhöfe ausgebaut. Besonders prägnante Zeitzeugen sind das 1882 erbaute Gut Wendlohe und die vom ehemaligen Dorfvogt Peter Timm erbaute Mühle, die von 1888 stammt. Der Gutshof wurde 1896 von dem Eimsbüttler Apotheker Ernst Sandow erworben, dessen Nachfahren ihn bis 1965 landwirtschaftlich nutzten.


Nach 1920 entwickelte sich Schnelsen vom Bauerndorf immer weiter zu einer klassischen Wohngegend für Arbeiter, die rund zwei Drittel der Einwohner ausmachten. In einer Statistik aus dem Jahr 1929 wird die Fläche des landwirtschaftlich genutzten Bodens immer noch mit 739 Hektar ausgewiesen, die bebaute Fläche aber immerhin auch schon mit 77 Hektar. 1927 wurde Schnelsen zusammen mit Niendorf und Lokstedt zur Großgemeinde Lokstedt zusammengeschlossen, 1937/38 kam es – genau wie die beiden anderen – zu Hamburg.


Im Zweiten Weltkrieg wurden zehn Prozent der Schnelsener Wohnbauten zerstört, laut einer Chronik kamen ungefähr 40 Menschen bei Luftangriffen ums Leben. Ähnlich wie zum Beispiel in Tonndorf, SteilshoopNeugraben und anderen etwas außerhalb liegenden Stadtteilen kamen etliche ausgebombte Hamburger in Behelfsheimen unter – 1946 wurden 10.652 Einwohner in Schnelsen registriert.

von Redaktion hamburgerimmobilien.de am 18.09.2018

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